Feuer statt Demokratie

Die Premiere im Werkraum des Deutschen Theaters „Aus Protest! Der Reichstagsbrandstifter Marinus van der Lubbe“ von Ronald Steckel verspricht neue, heiße Spuren und Einsicht in unbekannte Akten

von ESTHER SLEVOGT

Alles ist sehr geheimnisvoll. Schon am Telefon der Hinweis auf heiße Spuren, unbekannte Akten und neue Erkenntnisse. Am Abend des 16. Oktober werde man mehr wissen. Es geht immerhin um einen der größten ungelösten Kriminalfälle der deutschen Geschichte. Doch die Sache ist fast siebzig Jahre her.

Am 27. Februar, kaum vier Wochen nach dem Wahlsieg der Nazis, ging der Berliner Reichstag in Flammen auf. Als Brandstifter hatte man schnell einen jungen holländischen Anarchisten, den Maurer Marinus van der Lubbe, verhaftet und ein knappes Jahr später hingerichtet. Weil aber seine Tat, deren Hintergründe bis heute ungeklärt sind, symbolisch das vorwegnahm, was die Nazis knapp vier Wochen später mit den Ermächtigungsgesetzen faktisch vollstreckten – nämlich die Ausschaltung des Parlaments – hat man in Van der Lubbe lange einen Handlanger der Nazis gesehen.

Oder man stritt seine Tatbeteiligung ganz ab und stellte den Reichstagsbrand als ein Verbrechen der Nazis dar, die den Reichstag anzündeten wie einst Kaiser Nero das alte Rom. Nach dem Krieg hatte jedes Deutschland sein systemgerechtes Van-der-Lubbe-Bild. Für den Westen war er ein kommunistischer Chaot, der den Nazis billig die Demokratie in die Hände spielte. Im Osten galt er schlicht als Werkzeug der Nazis. Das Zeug zum Mythos hatte die Geschichte allemal.

Nun bin ich also mit den Leuten verabredet, die Licht in diese Sache bringen wollen. Treffpunkt? Keine Tiefgarage, sondern die Kantine des Deutschen Theaters, wo am 16. Oktober ein Stück über den Reichtagsbrandstifter Premiere hat. Vor dem Theater steht ein Van-der-Lubbe-Gedenkstein der holländischen Künstler Sluik/Kurpershoek, der vor kurzem auf mysteriöse Weise abhanden kam. Jetzt ist er wieder da. „Er wurde auf einer Baustelle gefunden“, sagt Dramaturg Dietmar Böck. Aber die polizeilichen Ermittlungen kommen nicht so recht weiter. „Viele Bauarbeiter verweigern die Aussage“, meint Böck und schaut mich wissend an, als führe von diesen Bauarbeitern ein direkter Weg zu den Drahtziehern des Reichtagsbrandes. Der Dramaturg wie auch der Regisseur und Autor des Abends, Ronald Steckel, sind hochgradig vom Van-der-Lubbe-Virus infiziert und im Verlauf der Recherchen zu echten Experten geworden. Wenn die beiden über den jungen Holländer reden, dann bereitet sich ein gedankliches Imperium aus, das vom Taoismus bis zu modernsten Verschwörungstheorien reicht.

In diesem Imperium schillert der Reichstagsbrandstifter in allen Farben. Er bekommt die Züge eines politischen Visionärs und kommunistischen Messias, den diese Heilslehre gebraucht hätte, um verwirklicht und nicht zum Schrecken des 20. Jahrhunderts zu werden. Van der Lubbe, der irgendwann zu Fuß von seiner Heimatstadt Leiden bis nach Berlin lief. Der eigentlich nach China wollte, aber keine Landkarten hatte und auch nicht wusste, dass China so furchtbar weit war. Der, seitdem er 19 Jahre alt war, beinahe blind war. Auf einer Baustelle hatte ungelöschter Kalk und eine Splitterverletzung seine Sehkraft fast zerstört. Und so war er arm und strandete nach einer Seume-haften Wanderung quer durch Europa in Berlin, weil in Deutschland die Arbeiterklasse am größten war und er „was machen“ wollte gegen die Nazis, die diese Arbeiterklasse betrogen.

All das wird Van der Lubbe am Montag selbst erzählen, wenn der Schauspieler Hans-Jochen Wagner ihn spielt. Ronald Steckel hat ihn aus Texten seines Reisetagebuches, Briefen und Prozessakten wieder zusammengesetzt: „Nicht das Rätsel eines großen politischen Kriminalfalles, dessen Protagonist und tragischer Held er geworden ist, wollen wir lösen, nicht eine historisch bedeutsame Biografie rekonstruieren. Wir glauben aus seinen Tagebüchern und Briefen eine staunenswerte Wahrnehmung der Welt, ein tiefes Leiden an ihrem Zustand und zugleich ein kraftvoll-utopisches Hoffen auf dessen Überwindung herauszuhören.“ Doch auch der Kriminalfall bleibt davon nicht unberührt. Im Hintergrund wirkte der akribische Van-der Lubbe-Forscher Hersch Fischler als Informant. Er sieht die Spur der Drahtzieher des Reichstagsbrands zu den Mördern Walther Rathenaus führen. „Aber Genaues darf ich nicht verraten“, sagt Dietmar Böck. „Das habe ich Fischler versprochen.“ Vielleicht wird uns ja Van der Lubbe am Montag etwas darüber erzählen.

16. 10., Werkraum der Kammerspiele des Deutschen Theaters, 20 Uhr