Schreiereien und Scherereien

Zwei sehr ähnliche Systeme treffen aufeinander und bekämpfen sich bis aufs Haar. Die Affäre Hoeneß-Daum ist noch nicht zu Ende. Ein Wort zur Verrohung der Republik

Der Bayerische und der Rheinische Kapitalismus geraten unter den Druck der brandneuen Berliner Republik

In der bekannten Causa Hoeneß-Daum installierte die Weltagentur der Verrohung und Verblödung ein Figurenensemble, dessen Einzelpartien wir zwar zur Genüge kennen, das jedoch auf Grund der jüngsten Rückkoppelungs- und sonstigen Unsympathieeffekte den mutmaßlichen Endpunkt des eschatologischen Ekelwesens markiert. Und daher bedarf es einer vorläufigen Abschlussbetrachtung.

Da spinnt ein Franz Beckenbauer in einem die eigenen, jahrzehntelang kultivierten Blödheiten tatsächlich noch mal übersteigenden metaphysisch-pathologischen Maß, dass selbst mir, der sich dem Giesinger Mirakel zäh und abhärtend gewidmet hatte, die Kategorien „wegbrechen“ (Toni Schumacher). Welche gewaltigen Portionen an substanzieller Verlogenheit und Schizophrenie es braucht, beispielsweise – nach Christoph Daums Haaranalysen-PK (vom 9. Oktober) – folgende Sätze auszuspucken: „Bedauerlich, dass es so weit gekommen ist. Aber ich begrüße, dass er zur Haaranalyse bereit ist. Wichtig ist, dass er den Verdacht aus der Welt schafft“ – das sollen bitte Tiefenhermeneuten oder spezialisierte Seelsorger klären.

Ergiebiger – und zugleich eine zusätzliche Spur gemeiner – brummte der charakterfeste Ulli Hoeneß die Journaille während seiner Konterpressekonferenz am 10. Oktober an; er, Hoeneß, der neben Moshammer, Beckenbauer und den Schneemännern Wecker/Witzigmann zu nichts anderem denn dazu beauftragt scheint, der verrotteten Münchner Boulevardpresse wöchentlich irgendwelche hämischen Brocken auf die Transmissionsriemen zu schmieren, dieser Hoeneß, man traute nicht Aug’, nicht Ohr, dieser scham- wie taktlose Wurstparvenü, dieser süddeutsch vergaunerte Bedenken- und Geldträger verkündete, es würde sich die halbe Republik bei ihm entschuldigen müssen; um seinerseits denen Klagen anzudrohen, die er pausenlos spruchbeutelnd und beutelschneiderisch bedient, und den „Medien“ obendrein handfeste Komplottinteressen wider den fabelhaften, den tadellosen FC Bayern zu attestieren: „Es war natürlich wunderbar“, bellte er, „Herrn Hoeneß zu verwenden, um andere Dinge zu verfolgen.“ Die Vernichtung der „Münchner Bayern“ (Waldemar Hartmann)? Des kompletten Volksstammes? Der Ulmer Dynastie Hoeneß? Wo beginnt er, der Wahn?

Suchen wir den Inbegriff des deutschen Menschen, jenen Kerl, der gar die BR-Moderatoren Rubenbauer und Hartmann absticht, die feisten Jovialgrinser, die ein Staatsfernsehen zelebrieren, das der gesamte Ostblock nicht auf die Beine zu stellen vermochte –: Dann werden wir in ihm, Hoeneß, fündig, dem wangenprallen Phänotyp des autoritären Charakters, dem Wadenbeißer und Schoßhund, dem Denunzianten und Sensibelchen, das eine schier unglaubliche Medialbrutalität mit einem nicht minder unfassbar heuchlerischen Selbstmitleid paart. Seine Nerven, jaulte er knapp vorm „Sanatorium“, lägen darnieder, und er beteuerte, „dass ich weitgehendst unschuldig in diese Geschichte geschliddert bin“, weshalb es gelte, „meinen unglaublich beschädigten Ruf“ zu restaurieren: „Bis heute sind 98 Prozent unserer Bürger völlig falsch informiert gewesen.“ Ward das sentimentale Lamm Opfer einer der DDR-amtlichen Desinformationskampagnen?

Mir ist Herr Daum samt Calmund und Chemiekonzern ein ebenso großes Gräuel. Sie sind verrückt, ausnahmslos. Allein, wo der Leverkusener Chefcoach „die Umkehr unseres Rechtsprinzips“ und „eine Abkehr von den guten Sitten unserer Gesellschaft“ konstatiert, hat er Recht – und Unrecht. Die notorischen Appelle, die Medien sollten sich an ihre Pinoccio-Nasen fassen, greifen zu kurz. Sportpolitisch geunkt, dürften wir den finalen Infight zwischen bayerisch-barockem und rheinisch-frivolem Katholizismus erleben. Beide Regionalkulturen, zum einen die rund um die Isar eingeübte mafiose Pfründen- und Rafferwirtschaft der Provenienz Strauß, Zimmermann, Zwick, Stoiber etc. und zum anderen der kölschkorrupte Rheinische Kapitalismus: Beide geraten unter den Druck der brandneuen Berliner Republik. Behaupten müssen sich einst teilhegemoniale Domänen gegen den forschen Ärmel-hoch!-Protestantismus der Schröder-Bande. Der Einfluss des „geheimen“ Republikzentrums, der Kokskapitale München schwindet, der DFB zerbröselt, Rhein und auch Ruhr sehen zusehends weniger Land. Stellvertreterkrieg nannte, was unsere Kasper in Süd und West veranstalten, die ehrwürdige Dependenztheorie.

Ich war Bayern-Fan. Hoeneß, Daum und Konsorten haben es verstanden, mir die Reste der Parteilichkeit auszutreiben, der idiotischen Identifikation mit gewissen Akteuren – erste Bedingung, dem Fußball anzuhängen. Ihnen allen danke ich verbindlich. Und Jupp Derwall. Er spendierte das schönste, hellste, das sinnfernste Statement der lästigen Universalschurkerei: „Ein Skandal, dass sich ein künftiger Bundestrainer einem Haartest unterziehen muss.“ Trompete Häuptling Silberlocke. Zugunsten der porentief reinen Weißhaut Daum. Saubere Sache, sauberer Abschluss. JÜRGEN ROTH