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: Bei der diesjährigen Vergabe des Literaturnobelpreises zeichnet sich ein Skandal ab: Indizien sprechen für eine Verletzung der Sorgfaltspflicht

Der Übersetzer, der in der Jury saß

Dunkle Wolken über Stockholm. Gar nicht mal, was den diesjährigen Literaturnobelpreisträger Gao Xingjian angeht. Im Zwielicht steht vielmehr ein Mitglied des Auswahlgremiums, der Schwedischen Akademie. Dieser, Göran Malmqvist, ist nicht nur Gaos schwedischer Uebersetzer, sondern steht nun in offenem Verdacht, die bevorstehende Verleihung einen ihm nahe stehenden Verlag gesteckt zu haben, was dazu führte, dass dieser sich schnell noch die Ausgaberechte bei Gao Xingjian sicherte.

Die bisherigen Werke von Gao Xingjian hatte in Schweden der Stockholmer Verlag Forum herausgebracht. Am 2. Oktober, zehn Jahre vor der Bekanntgabe des diesjährigen Preisträgers, erhielt Forum einen Brief vom Konkurrenzverlag Atlantis, in dem man Forum kurz darüber informierte, dass man die schwedischen Rechte für Gao Xingjian übernommen habe. Ein ungewöhnlicher Vorgang, nicht nur weil Gaos Werke mit einer Auflage von rund 1000 Exemplaren alles andere als Rennner waren. In der schwedischen Verlagsbranche sind auch einseitige Rechteübernahmen ungewöhnlich. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, so Forum-Verlagschefin Karin Leijon, „es ist absolut üblich, sich erst das Okay des bisherigen Verlags einzuholen.“

Zudem: Es gibt auch einen persönlichen Zusammenhang, der den Namen des Akademiemitglieds Göran Malmqvist trägt. Er ist der einzige Sinologe unter den Akademiemitgliedern, es ist deshalb anzunehmen, dass sein Votum in diesem Kreis besonders schwer wog. „Eine solche Person muss ihre Stellung natürlich besonders sorgfältig handhaben“, schrieb die Stockholmer Tageszeitung Dagens Nyheter in ihrer Freitagsausgabe.“

Doch von Sorgfalt und Zurückhaltung kann bei Göran Malmqvist offenbar nicht die Rede sein. Gao Xingjians brandneuer schwedischer Verlag hatte geplant, sein neues Buch „Die Bibel eines einsamen Menschen“ im kommenden Frühjahr herauszubringen. Doch nun erweist es sich, dass man pünktlich zur Bekanntgabe seines Literaturnobelpreises auf den Markt kommen kann – gleich mit einer fünffach höheren Erstauflage als bislang bei Gao Xingjians Büchern üblich.

Gegenüber der Tageszeitung Aftonbladet gibt sich der für die Produktionsplanung bei Atlantis verantwortliche Lennart Rolf recht freimütig. Man habe „geahnt“, dass es Gao Xingjian sei: „Sein Übersetzer sitzt ja in der Akademie, und er ist ein paar Mal bei uns aufgetaucht und hat irgendwie doch deutlich Druck gemacht, dass wir das Buch bald fertig machen sollten.“

Göran Malmqvist selbst bestreitet jegliche Einmischung: „Ich bin an die Geheimhaltungsregeln gebunden. Für mich ist es absolut egal, welcher Verlag die Bücher herausgibt. Was mich allein interessiert, ist, dass sie gelesen werden.“ Alle Verdächtigungen als grundlos vom Tisch wischen kann man angesichts der sich abzeichnenden Indizienkette mit solchen Erklärungen allerdings wahrhaftig nicht.

REINHARD WOLFF