Denken über das Netz

■ „interface 5“ endete mit der Tagung „Computer Odyssee 2001“

Mit geballtem kulturgeschichtlichen Sachverstand navigierten etliche Professoren und eine Schar getreuer Cybernauten durch die „Computer Odyssee 2001“: Das Symposion in der Freien Akademie der Künste markierte am Wochenende nicht nur das Ende von interface 5, sondern der ganzen, zehnjährigen Reihe des von der Kulturbehörde nachdrücklich geförderten Metadiskurses über Nutzen und Bedeutung der elektronischen Medien.

interface ist ein Lieblingskind von Klaus Peter Dencker, der es geschafft hat, mit einer Reihe von Veranstaltungen und den fünf großen Symposien die meisten der wichtigsten 150 Theoretiker im Umfeld des Cyberspace aus Europa und den USA nach Hamburg zu holen. Nicht immer allerdings konnte dafür ein größeres Publikum begeistert werden: Den notorisch überinformierten Netzies mag teils die Information, teils der rote Faden entgangen sein. Insofern spiegelte die offen interdisziplinäre Veranstaltungsreihe die Struktur des Internet und forderte eine eigene und zeitaufwendige Navigation durch das Angebot von universitären Institutsleitern oder Medienpraktikern, zwischen den Zugängen von Systemtheorie oder Hacking, mit Sympathie für pseudoreligiöse Techikbegeisterung oder kennerische Kulturkritik. Dabei ist es das Wesen von Symposien, dass es oft nicht ein Fachvortrag über die Feedback-Organisation virtueller Netzkommunities oder über „Gen und Bit als Corpus Christi Mysticum“ ist, der die einzelnen Besucher begeistert oder verwirrt, sondern eher das Leuchten in den argumentativen Zwischenräumen, die sich zwischen den Fachwelten der hochintelligenten Spezialisten auftun, auch wenn sie sich scheinbar mit dem gleichen Thema beschäftigen.

In einem aber herrscht Einigkeit: Nach dem Alphabet, den Räderwerkmaschinen der Uhren und der Gutenberg-Galaxis handelt es sich beim Cyberspace um eine der einschneidendsten Veränderungen der Kultur. Dabei sind die aus der Gegenwart extrapolierten Visionen für die nähere Zukunft meist etwas vage, notwendig großsprecherisch und oft schon nach kürzester Zeit überholt. So wurde selbst die Entwicklung der elektronischen Medien in den zehn Jahren seit Beginn der interface-Reihe kaum geahnt.

So ist am interessantesten oft der durch die neue Entwicklung ausgelöste Blick zurück auf die Kulturgeschichte: Die philosophischen Überlegungen zur Entdeckung der Elektrizität im 18. Jahrhundert geben der Computerwelt eine eigene Historie, und mittelalterliche Vorstellungen über die Engel können als Avatare oder Cyberkonstruktionen besser verstanden werden. Doch bei aller idealistischen Denkerei bleibt als ernüchternde Tatsache, dass mehr als vierzig Prozent der internet-Kapazität allein durch den Sex-Bereich besetzt ist.

Hajo Schiff

unter www.interface5.de findet sich eine umfangreiche Dokumentation, als Buch interface 5 wird etwa Frühjahr 2002 erscheinen; die bisherigen vier Aufsatzbücher hat Klaus Peter Dencker im Auftrag der Kulturbehörde im Verlag des Hans-Bredow-Instituts herausgegeben zu Preisen zwischen 35 und 55 Mark