Standing Ovations für Daum

■ Bremer Katastrophen gegen Leverkusener Irrsinn endet dann doch noch mit 3:3

„Und?“ Der gemeine Fußballfreund kennt diese Kurzfrage schon. Dieses „Und?“, vom Heimweg aus dem Stadion, bei der Zwischenstation am Tresen. „Und?“ – worauf zunächst die ergebnisorientierte Kurznachricht und dann die langatmigen taktischen und personalpolitischen Debatten des vermeintlichen Fachpersonals kommen. So geht's Wochenende für Wochenende – nur nicht am vergangenen in Bremen. Wer am Samstag „Und?“ fragte, wollte vor allem eines wissen: „Und? War was mit Daum?“ – „Jaja, aber das Spiel!“ – „Egal! Was war mit Daum?“

Na gut! Es war was mit Daum! Noch ehe bei diesem erst ziemlich mäßigen Kick zwischen Werder und Leverkusen auch nur ein Pass in die Beine des Gegners gespielt, auch nur eine Flanke ins Nirwana geschlagen war, stand der Sieger fest. Christoph Daum. Das hat es in der langen Werder-Geschichte noch nicht einmal gegeben, als Otto der Große mit seinen Lauterern mal wieder in Bremen zu Besuch kam: Der Gästetrainer kommt aus dem Kabinengang, und die Werder-Fankurve jubelt, selbst die chronisch nörgeligen Besserverdienenden von der Haupttribüne hält es nicht auf den Sitzplätzen. „Ich habe die Bremer in mein Herz geschlossen“, meinte der gerührte Gästecoach nach dem Spiel. Was schön ist, aber doch ein wenig neben der Wahrheit liegt. Die Standing Ovations waren wohl doch eher zum geringeren Teil als Sympathiebekundungen für Daum gemeint, sondern folgten wohl eher dem Merksatz, dass der Feind meines Feindes mein Freund sein muss. Und zu keinem empfinden die Bremer Fans auch nur entfernt eine herzlichere Abneigung als zum Bayern-Manager. Weshalb die Stimmung im Weserstadion erst richtig gut bei den ortsüblichen Hoe-neß-Schmähgesängen wurde. Und beim Ergebnisdienst aus Cottbus gab s kein Halten mehr.

So war wenigstens im Rahmenprogramm für Unterhaltung gesorgt. Denn die Hauptveranstaltung war ein gutes Stündchen lang ein echter Stimmungskiller. Die Bremer überließen den Leverkusenern den Raum fürs Kreative, standen aber wiederum meist so spielverhindernd, dass die rheinischen Pillenkicker kaum bis zum Tor durchdrangen. Selbst versuchten es die Platzherren bestenfalls mit langen Pässen in Richtung Turbo Ailton. Meistens fruchtlos.

So wäre der Kick wohl verdümpelt, wenn nicht die Werder-Defensivabteilung mit Katastrophenaktionen für Zählbares gesorgt hätte. Mal schnarchten die komplette Innenverteidigung und Keeper Rost im Tiefschlaf, mal war die Gegenwehr im eigenen 16er momentan eingestellt, mal wollte Bode einen sieben-Meter-Rückpass schieben, der aber bei fünf Metern schon derart an Fahrt verlor, dass Rost den heranstürmenden Brdaric traf. Und nicht das Spielgerät. Elfmeter – drin. Drei Leverkusener Tore aus Null Chancen. „Ich glaube, ich wäre besser im Bett geblieben“, meinte Torsteher Rost. Zwischendurch hatte zwar der Bremer Baumann einmal eingelocht, aber wer wollte dieser Werder-Mannschaft zutrauen, sieben Minuten vor Schluss ein 3:1 noch umzubiegen.

Die Zuschauer nicht, die verließen massenhaft die Spielstätte. Der Trainer auch nicht. Der winkte ab und zog sich vergnatzt auf die Bank zurück. „Sehr verärgert“, war Thomas Schaaf nach dem Schlusspfiff. „Erst lassen wir die schön spielen, und dann legen wir ihnen auch noch die Tore auf.“ Was dem Trainer vollends die Laune verhagelt hätte, wenn das Daum-Festival nicht noch eine ziemlich irrsinnige Wende genommen hätte. Eingeleitet – Irrsinn Nummer eins – fünf Minuten vor Ultimo durch einen Elfmeter für die Bremer – den Herzog freilich verschießt. Worauf die Leverkusener allerdings – Irrsinn zwei – noch derart intensiv mit Jubeln beschäftigt sind, dass Marco Bode den folgenden Eckball unbedrängt per Kopf einwuchten kann. Und schon ist's nur noch ein Tor Rückstand. Das Fabian Ernst in der allerletzten Minute gerne selbst egalisiert hätte, wenn ihn Bayer-Keeper Zuberbühler – Irrsinn drei – nicht per misslungener Faustabwehr ausgeknockt hätte. Rot für den Torwart, noch ein Elfer für Werder, Feldspieler Zivcovic – Irrsinn vier - versucht sich als Ersatzkeeper, weil die Leverkusener nicht mehr auswechseln dürfen. Doch diesmal schießt Ailton. 3:3. Und hätte das Spiel noch ein, zwei Minütchen länger gedauert, die Bremer hätten noch gewonnen.

Immer dieselbe Frage: „Und?“ Diesmal hätte es richtig viel zu erzählen gegeben. Sogar übers sportive Hauptprogramm. Was der Held des Nebenprogramms auch so sah. „Es war was los, das war spannend, dramatisch. Das ist es doch, was der Zuschauer sehen will“, sagte Christoph Daum. „Und?“ – „Dazu kein Kommentar.“ Jochen Grabler