Sexy Bösewichte in Grün & Pink

■ Im neuen Stück im MOKS werden Kinder misshandelt und Organe gehandelt – was einen Klassespaß mit Klasseensemble nicht hindert

Wer sich aus tiefem, nagenden Zweifel an der prinzipiellen Bühnentauglichkeit komlexer Wortschöpfungen zum Beispiel eines Herrn Brecht oder Goethe in medienverseuchten Zeiten unters Sofa zurückgezogen hat, der darf nun erleichtert wieder hervorkriechen und ganz ohne Furcht ins Bremer Kinder- und Jugendtheater gehen, Ehrenwort. Dessen „Tochter des Ganovenkönigs“ stimmt und sitzt in jeder Hinsicht: Bühne, SchauspielerInnen, Stück, Regie, perfekt. Höchstens die Musik müsste sich für meinen Geschmack nicht gar so geschmackvoll zurückhalten, könn-te im Interesse popgeschädigter Kids mehr powern – obwohl manche triphop-igen Klänge schon toll sind. Am genialsten aber ist eindeutig ein giftzwerggrüner Anzug aus echtem Schlangenlederimitat, und wie sich dieser Knaller ins Pink, Lindgrün und Weiß der Bühne fügt zeigt, dass diese Inszenierung zackig und formbewusst zugleich ist. Nach zwei Stunden waren die unterschiedlichsten Zuschauersorten – Bäcker, Transzendentalphilosophen, Kirschkuchenfreunde – verzückt, und dieser klassenübergreifende Erfolg eines Stücks für Kinder ab 11 erinnert irgendwie an die erdumspannende Liebe zu Harry Potter in Zeiten literarischer Verunsicherung.

Verfasser dieser „Kriminalkomödie“ ist Ad de Bont, der in seinem eigenen Amsterdamer Theater offenbar genug Erfahrungen mit Kindern aus Fleisch und Blut gesammelt hat, um Klischees des Kindgerechten zu vermeiden. Wozu er jedenfalls gar keine Lust hat ist die abgenudelte Story von dem supertollkreativen, lebenslustigen Kind, das von einer spießigen, moralsauren Welt schickaniert wird. Schließlich ist es nur ein zäh sich haltendes Gerücht, dass unsere Welt spießig und moralinsauer sei. Wo doch jeder weiß, dass wir in Wahrheit in einer Stinksuppe von Organhändlern, Kinderschändern, Korruption und Machtlüstlingen leben. Und mitten in diesem gepfefferten Suppengericht siedelt Ad de Bont den „König“ und die „Königen“ an, ein Ehepaar, das sein happy high society-Leben durch Raub und den Verkauf der elf eigenen Kinder finanziert. Charming Machogeck Hermann Book und sexy Alles-im-Griff-Frau Christine Ochsenhofer geben diese kotzbrockigen, gnadenlos egoistischen Genussvirtuosen so quirlig und lebenslustig, dass man sich in sie verlieben muss: Ein Widerspruch, mit dem heutige Kids schon umgehen können, ebenso wie mit dem bitteren Ende, das die lustigen Molche leider ereilt. Aber davor dürfen sie das alte Sie-schlugen-und-sie-lieben-sich-Thema ebenso stilsicher wie lustig durchvariieren.

Den Part der Moral übernimmt in diesem Stück ausgerechnet das Kind, Tochter Julchen (süß Maureen Havlena, ebenso wie Erhard Dapper als Richter). „Kinder können so konservativ sein“, stöhnen die Eltern. Jule pflegt aufopferungsvoll den greisen Großvater, spricht am liebsten in Sentenzen voller Fremdwörter und übt sich in Geduld mit ihren flippigen Eltern. „Alle Schändlichkeiten habe ich mit dem Mantel der Liebe zugedeckt.“ Sie schreitet erst zur Tat, als die Eltern den lästigen Opa um die Ecke – genauer gesagt in den Wald – bringen wollen. Und auch hier greift de Bont ein aktuelles Thema auf: Julchen lässt sich von ihren Eltern scheiden in Anlehnung an einen authentischen Fall vor ein paar Jahren.

Anstelle luxuriöser Möbel haben Katrin Plötzky, Erhard Dapper und Dieter Förster eine Art Brüstung und Galerie als abstraktes Symbole für Reichtum auf die Bühne gestellt. Und diese wunderschöne, grafische Architektur nutzt Regisseur Klaus Schumacher glänzend für formbewusste Auf- und Abgänge und das eine oder andere Versteckspiel.

Weil der James Bond-Film „Goldfinger“ beweist, dass Stücke nur was taugen, wenn ein Kommissar auftaucht, obwohl – wie de Bont erklärt – in Goldfinger streng genommen gar kein Kommissar vorkommt, tapst also Cornelius Nieden alias Kommissar Gallenberg halb frech, halb unbeholfen durch die Geschichte und legt sich schon mal in fremder Wohnung auf's fremde Sofa um angemessen verschämt „Hey Baby, take a walk on the wild side“ zu fisteln. So einer muss dann auch als Opfer der Schadenfreude herhalten, ohne die es in heutiger Kinderunterhaltung scheinbar nicht mehr geht. Er wird von Hunden gebissen, vom Strom geschlagen, und wird selbst mit dem Klassiker des Pechs, dem plattgesetzten Hut, aufs liebevollste bedacht. Durch und durch ein rundes Stück, und trotz aller Rotzigkeit sogar geschmückt mit einer Prise Utopie: dass es eine Art angeborene gütige Moral gibt, welche die nächste Generation wiederentdecken könnte, schluchz. bk

20.,21. 10., 19h; 22.10. 17h; 3.,4.11. 19h; 5.11. 17h