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: Unverwandte Verwandte

Jeckes – Die entfernten

Verwandten

Sa, 22.15 Uhr, BR

So kann man’s sehen: Zwei junge deutsche Filmemacher reisen ins Gelobte Land, um deutschstämmige Juden fortgeschrittenen Alters mit Fragen zu belästigen und dabei die eigenen Nasen exzessiv ins Bild zu halten. Man kann es aber auch so sehen, dass hier junge Deutsche einer Generation zuhören, die es bald nicht mehr gibt: Die „Jeckes“ eben, die in ihrer Biographie gleichzeitig Deutsche, Juden und Israelis waren und nun, ausgewandert nach Palästina, gerne zurückblicken auf ein bewegtes Leben.

Carsten Hueck und Jens Meurer jedenfalls sind vitalen und aufgeweckten Senioren begegnet, die offenbar besser über die Motive ihrer Gäste Bescheid wissen als die Filmemacher selbst: „Sie sind hier, um uns noch einmal zuzuhören, bevor es uns nicht mehr gibt, oder?“ fragt eine Jeckin – und erntet betretenes Schweigen und verhaltenes Nicken bei ihren Besuchern. So tritt das Linkische, das diesem Projekt anhaftet, unverstellt zutage, wird visualisiert und dadurch erträglich. Womöglich ist es gerade die befangene Neugierde der jungen Deutschen, die die Alten zum Erzählen bringt: Wie fremd der Vater plötzlich aussah, als man ihm im KZ den Kaiser-Wilhelm-Bart abrasierte. Wie eine Familie Anfang der Dreißigerjahre von Riga nach Berlin übersiedelte – in die vermeintlich „zivilisierte Welt“. Und wenn uns Paul Jacobi, 1911 in Königsberg geboren und ehemaliger Vize-bürgermeister von Jerusalem, durch seine umfangreiche Bibliothek führt, demonstriert er uns en passant eine sublime Variante der Vergangenheitsbewältigung: Ein Raum ist reserviert für Bücher über Goebbels und Hitler – und den „wilden Menschen aus der Prähistorie“. Von Paul Jacobi stammt auch der milde Satz, der „Appetit“ aufs deutsche Volk sei ihm „beim Essen vergangen“. Es sind diese pointierten Ansichten, die „Jeckes“ zu einer gelungenen Dokumentation machten. Umso mehr ist dem BR zu danken, dass aus dem vorliegenden Material nun eine siebenteilige Reihe geworden ist, die heute mit einem Porträt von Paul Jacobi ihren Anfang nimmt (22.45 Uhr, BR). Und das macht – einziger Vorwurf – vergessen, dass es auch gebrochene Jeckes gibt, die verbittert durch Altersheimflure schlurfen. ARNO FRANK