die stimme der kritik
: Betr.: Potter IV

Die Wiederverzauberung der Welt

In den ersten Band, den ich zum Verschenken gekauft hatte, wollte ich am Vorabend nur kurz reinschauen – und las ihn noch in derselben Nacht zu Ende. Dass ein Buch so einen Sog entwickelt, eine Geschichte so zum Eintauchen einlädt, passiert selten genug, also war ich gierig, auch die nächsten beiden Potter-Bände zu verschlingen.

Und Samstag früh kam nun der vierte, mit 767 Seiten fast doppelt so dick wie die anderen – irgendwann im letzten Drittel fielen mir gestern morgen vor Müdigkeit die Augen zu. Aber schon jetzt kann ich ganz unterschreiben, was Stephen King schon auf dem Umschlagtext kundtut: „Zu meiner Erleichterung kann ich berichten, dass Potter IV – Harry Potter und der Zauberkelch – so gut ist wie die bisherigen Bände.“

Mindestens so gut, deshalb wage ich die Prophezeiung, dass Joanne K. Rowling nach Abschluss des auf sieben Folgen angelegten Werks die Plätze 1 bis 7 in den internationalen Bestsellerlisten belegen wird – und im Gefolge vielleicht auch noch eine Renaissance der ebenso wunderbaren englischen Klassiker „Pu der Bär“, „Herr der Ringe“ und „Alice im Wunderland“ heraufbeschwört, die sich in Deutschland um die Plätze 8 bis 10 mit Michael Endes „Jim Knopf“, „Momo“ und der „Unendlichen Geschichte“ sowie Walter Moers’ grandiosen „13 œ Leben des Käpt’n Blaubär“ streiten.

Sollen die Lallbacken des „Literarischen Quartetts“ und andere Promoter der „hohen“ Kultur ruhig die Nase rümpfen – etwas Besseres als eine solche Wiederverzauberung der Welt durch Bücher kann unserer Kultur eigentlich nicht blühen. (Um hohe Kunst in Schubladen und Kleinstauflagen zu entdecken – und noch dem artifiziellsten Schreiberling Hoffnung zu machen – gibt’s ja im übrigen immer noch das schwedische Nobelkomitee!)

In Potter IV wirft Harrys fieser, verfressener Cousin Dudley, der auf Diät gesetzt wird, aus Wut seine Playstation aus dem Fenster. Das taugt als Sinnbild für die aktuelle Pottermanie, die längst vom literarischen Ereignis zum Popphänomen geworden ist. Die Kinder und Jugendlichen, die den Kult entfachten und die Erwachsenen mitzogen, haben offenbar erkannt, dass die Gutenberg-Revolution durch die neuen Medien noch längst nicht beendet wurde. Die Heimat der Phantasie, der virtuellen Realität, liegt weder auf dem Bildschirm noch im Web oder WAP, sie findet nach wie vor im Kopf statt – zwischen den Zeilen. MATHIAS BRÖCKERS