Zeitlupe, bitte!

Etwa 3.000 Menschen demonstrierten in Leipzig gegen Überwachungsgesellschaft und Sicherheitswahn

BERLIN taz ■ Der ausgesprochen geschmackvolle Werbespruch der ältesten deutschen Messestadt lautet: „Leipzig kommt!“ Fakt ist, dass sich die Leipziger gefallen lassen müssen, dabei beobachtet zu werden: Seit 1996 verfolgt die Polizei das öffentliche Leben per Videoüberwachung rund um die Uhr auf zentralen Straßen und Plätzen. Die Sache ist ein Modellversuch, quasi beispielhaft für Deutschland. Und erfolgreich, wie Polizeipräsident Rolf Müller versichert: „Vor dem Hauptbahnhof ist die Kriminalitätsrate um die Hälfte gesunken“.

Angestiegen ist hingegen die Zahl derer, die sich gegen eine Realisierung der Orwell’schen Vision wehren. Etwa 3.000 Menschen waren es am Samstag, die protestierend durch die Leipziger Innenstadt zogen. Vor laufenden Kameras natürlich: Zusätzlich zu den fest installierten, wartete die Polizei mit mehreren portablen Geräten auf. Ob am Sachsen- oder Richard-Wagner-Platz, auf dem Innenstadtring oder Markt – unter dem Slogan „gegen die Überwachungsgesellschaft und Sicherheitswahn“ wollen die Veranstalter – „Bündnis gegen Rechts“ und „Antifaschistischer Frauenblock“ – die Dinger einfach wegdemonstrieren. Da kennt man sich schließlich aus in Leipzig. Allein 25 Demos im Januar und Februar zwangen die Stadt, eine im von den Linken dominierten Stadtteil Connewitz installierte Kamera wieder abzubauen.

Den Demonstranten gegenüber standen 1.700 Beamte. „Die Polizei gab sich mit Wasserwerfern und Hubschraubern richtig Mühe zu provozieren“, erklärte Uli Schubert vom Veranstalter. Mit Erfolg: Nach Abschluss der Demonstration kam es vor dem neuen Rathaus zu Auseinandersetzungen, bei denen laut Veranstalter „40 Demonstranten“, nach Angaben der Polizei „lediglich vier Randalierer“ festgenommen wurden. Immerhin das lässt sich dank Videoüberwachung zweifelsfrei klären: Können wir noch mal die Zeitlupe haben? NICK REIMER