Erfolgreicher Einstand in Europa

Der erste Schritt des neuen jugoslawischen Präsidenten auf dem Parkett der EU war beeindruckend und begeisterte auch sein Publikum zu Hause

von DANIELA WEINGÄRTNER
und ANDREJ IVANJI (Belgrad)

Sie hatten ihm den roten Teppich versprochen, und den bekam er: Von der Stelle, wo seine schwarze Limousine stoppte, bis zu dem Raum, in dem das erste Gespräch mit Ratspräsident Jacques Chirac stattfinden sollte, schritt der jugoslawische Präsident Vojislav Koštunica über purpurnen Velours. Die Fotografen – sonst eher ein kühles Volk – begrüßten ihn mit Bravorufen. Jospin und Chirac umfassten seine Hand zu einem symbolträchtigen Dreierpakt. Und Wolfgang Schüssel zeigte sein herzlichstes Begrüßungslächeln – schließlich erinnert er sich gut, wie es sich anfühlt, in die demokratische europäische Familie zurückkehren zu dürfen. Den Geldbeutel hatten die EU-Staats- und Regierungschefs schon vor seiner Ankunft geöffnet: 200 Millionen Euro bekam der neue Mann aus Belgrad mit nach Hause.

Und der Hoffnungsträger erfüllte die Erwartungen. Ein wenig unbeholfen noch, aber mit jedem Schritt fester auftretend, bewegte er sich als Präsident unter seinesgleichen. Und gegenüber den kritischen Fragen der Journalisten gab er eine Kostprobe der Kunst, die das Erfolgsgeheimnis vieler Politiker ist: Seine Antworten kamen der Erwartungshaltung der Zuhörer einen winzigen Schritt entgegen, ohne dass er sich bei offener Heuchelei hätte erwischen lassen.

Ob er dabei bleibe, dass die Nato-Angriffe die Identität seines Landes geprägt hätten, wurde er gefragt. „Die Natur einer Nation ist eine Mischung aus allem – Vergangenheit, Gegenwart und die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft.“ Dazu gehörten eben auch die Nato-Bomben, die sein Land getroffen hätten. Es habe aber schon vorher durch die jahrelange Misswirtschaft am Boden gelegen.

Ob er tatsächlich gesagt habe, Milošević habe weiterhin einen Platz in der jugoslawischen Politik? „Da bin ich falsch zitiert worden. Milošević selbst hat das vor einigen Tagen noch geglaubt. Inzwischen hat er eingesehen, dass es nicht so ist.“

Ob er richtig zitiert worden sei mit dem Plan, einen neuen Namen für Rest-jugoslawien zu wollen? „1918 spiegelte der Name unseres Landes die politische Realität wider – Vereinigtes Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen. 1929 vereinigten wir uns mit weiteren Ländern der Region zu Jugoslawien. Heute besteht mein Land aus zwei föderalen Einheiten. Das sollte sich im Namen widerspiegeln – Vereinigte Republik von Serbien und Montenegro.“

Beide Teilrepubliken sollen in einem Referendum entscheiden, ob sie zusammenbleiben wollen. Den Status des Kosovo als internationales Protektorat will Koštunica ebenso respektieren wie die in Dayton festgelegten Grenzen von Bosnien-Herzegowina. „So viel zu meinem Nationalismus“, sagte der Neue selbstbewusst. „Er ist von sehr viel defensiverer Natur, als ich es heute bei vielen großen Staaten beobachten kann.“

In Serbien kam der Biarritzer Auftritt ähnlich gut an. „Jugoslawien kehrt nach Europa zurück“, überschrieb die Tageszeitung Politika ihren Leitartikel. Die Begeisterung praktisch aller Printmedien und Fernsehstationen über die Begegnung des Präsidenten mit den mächtigsten Staatsmännern Europas entspricht der Haltung der Bevölkerung.

Seine schlaksigen Bewegungen, die schlecht sitzende dunkelblaue, weisbetupfte Krawatte, die gar nicht zu seinem schwarzen Anzug von der Stange passt, gehören zu einem Bürgerpräsidenten, der seine bescheidene Wohnung im Zentrum Belgrads nicht aufzugeben gedenkt, der in einer gecharterten Linienmaschine statt im protzigen Privatjet seines Vorgängers fliegt und zu den begleitenden Journalisten sagt, er wolle das weiter so halten. Das schätzt und liebt man.

Wenig Aufmerksamkeit erregten die Worte Koštunicas, er werde sich einer Unabhängigkeit Montenegros nicht in den Weg stellen, falls sie in einem Referndum beschlossen werde und seine Überlegungen zu einer lockeren Föderation „Serbien-Montenegro“. Solche Gedanken werden schon als bekannt vorausgesetzt. Während sie in Montenegro die Hoffnung auf tatsächliche Unabhängigkeit fördern, spekulieren politische Beobachter in Belgrad darauf, dass die Montenegriner eigentlich gar keine völlige Unabhängigkeit wollten und ein Referendum dementsprechend ausfalle: Montenegro sei gegen Milošević gewesen, nicht gegen den Bund mit Serbien an sich.

Am meisten wird überlegt, wann die versprochene Hilfe Europas wirklich bemerkbar wird. Die jetzt versprochenen 200 Millionen Euro klingen gut im verarmten Jugoslawien, aber Experten wissen, es ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Preise steigen plötzlich auf ein Vielfaches, die Großhändler sind verunsichert und halten ihre Waren zurück, niemand weiß, wer im Chaos wenigstens die bisherigen Löhne und Renten garantieren kann. Man hofft, dass Kostunica das seinen Gastgebern klar gemacht hat. Die so junge und nicht gesicherte Demokratie steht auf dem Spiel, wenn es den Menschen nicht bald besser geht.

Natürlich weiß das der Präsident, und hat versprochen, dass diese im wahren Sinne des Wortes erste Hilfe für die Linderung sozialer Nöte, Löhne und Renten benützt werden soll. Aber damit sie fließen und verteilt werden kann, muss Jugoslawien eine Regierung bekommen, und dieser schwierigen Aufgabe muss Koštunica jetzt seine ganze Aufmerksamkeit widmen.

Noch kann er auf volle Unterstützung der Bevölkerung rechnen, der imponiert, dass er es in nur zwölf Stunden geschafft hat mit so vielen Staats- und Ministerpräsidenten, auf dem Rückflug bei einem Zwischenstopp in Genf sogar mit dem Präsidenten der Schweiz, Adolf Oggi, zu verhandeln. Ein bewundernswertes Tempo.