Sampling als Methode

Wider die trügerische Sinngebung des Erzähltheaters: Drei Inszenierungen von Heiner Goebbels im Hause Stromberg  ■ Von Annette Stiekele

Heiner Goebbels geht es ums Material: um musikalische Versatzstücke, Texte, die zu Collagen gesampelt werden und die Kombination aller Teile in Musiktheater- Arrangements. Mit seinem radikalen ästhetischen Ansatz passt Goebbels dem Schauspielhausintendanten Tom Stromberg hervorragend in sein Konzept der „neuen Offenheit“. Deshalb stehen in dieser Woche gleich drei Inszenierungen Goebbels auf dem Spielplan. Nach der Premiere von Eislermaterial heute und der Max Black-Premiere am Donnerstag – beide 1998 uraufgeführt – folgt am Freitag Hashirigaki, das Goebbels jetzt am Deutschen Schauspielhaus erarbeitet hat.

Heiner Goebbels wurde bekannt mit zahlreichen Film-, Ballett- und Theatermusiken für alle großen deutschsprachigen Bühnen. Gleichzeitig war er immer ein politisch aktiver Mensch, formierte in Frankfurt das Sogenannte Linksradikale Blasorchester. In den vergangenen Jahren widmete er sich vor allem dem Musiktheater, schrieb Musiken für Heiner Müller und ist Autor mehrfach ausgezeichneter Hörstücke. Über Hanns Eisler (1898-1962), Komponist der DDR-Hymne und zahlreicher Arbeiter-Kampflieder, schrieb er einst seine akademische Abschlussarbeit. An Eisler reizte ihn dessen dezidiert politische kompositorische Perspektive. In seinem „inszenierten Konzert“ konterkariert Goebbels den agitatorischen Stil der 30er Jahre mit dem melodiösen Eisler.

Mit ungeschulter, heller Stimme singt der Schauspieler Josef Bierbichler Lieder wie „Die haltbare Graugans“ oder „Wiegenlieder einer proletarischen Mutter“, immer wieder durchmischt mit instrumentalen Agitpropklängen. Begleitet wird er dabei vom Frankfurter Ensemble Modern, das sich ausschließlich der Musik des 20. Jahrhunderts widmet. Mit Eisler teilt Goebbels auch seine Skepsis gegenüber der romantische Idee vom Genie. Statt dessen fügt er lustvoll akustisches Material aus vergangenen und gegenwärtigen Kulturen neu zusammen. Die Rezitation des Textmaterials beinhaltet dabei stets den Versuch einer offenen Kommunikation in verschiedene Richtungen, die den Hörer zwar hineinzieht, ihm aber durchaus größere Souveränität zugesteht.

In Max Black wendet Goebbels seine Sampletechnik an, um einen im Labor experimentierenden Wissenschaftler bei der Denkarbeit zu beobachten. Der elsässische Schauspieler André Wilms, bekannt als Filmschauspieler bei Aki Kaurismäki und Claude Chabrol, kommentiert darin seine Experimente mit Textausschnitten von Paul Valéry, Georg Christoph Lichtenberg oder Ludwig Wittgenstein. Szenisch aufgeladen wird die Laborsituation durch das Licht von Klaus Grünberg und pyrotechnische Effekte von Pierre-Alain Hubert. Es entsteht eine Collage aus Sprachspielen der Mathematik, synthetischer Musik und philosophischen Denkströmen. Max Black ist übrigens eine reale Figur. Als russischer Sprachphilosoph und Logiker arbeitete er in den USA.

In Hashirigaki bearbeitet Goebbels Gertrude Steins berühmtes Prosawerk The Making of Americans. Man darf gespannt sein, wie Goebbels die moderne Sprachkunst des Stream of consciousness mit den drei Schauspielerinnen Charlotte Engelkes, Marie Goyette und Yumiko Tanaka auf die Bühne bringt. Bei einem Goebbels-Abend ist nur eines ganz sicher: dass man mit nichts rechnen darf. Mit seiner Skepsis der geschlossenen Erzählung und ihrer narrativen Sinngebung gegenüber bleibt das Fragment für ihn das einzig legitime Modell. Das unterscheidet ihn maßgeblich von jüngeren Theatermachern, die sich wieder dem Geschichtenerzählen zuwenden. Wer nach den drei Inszenierungen noch nicht genug hat, kann sich auf eine weitere Neuinszenierung von Heiner Goebbels am Ende der Spielzeit freuen.

Premieren von Eislermaterial: heute, 20 Uhr; Max Black: Do., 20 Uhr; Hashirigaki: Fr., 20 Uhr, Deutsches Schauspielhaus