„Ein Volk, ein Staat, eine Armee“

Niemals würde General a. D. Jörg Schönbohm platte rechte Sprüche klopfen. Doch er kennt die richtigen Codes, und seine Zuhörer wissen sie zu lesen. Betrachtung der Rede eines aufgeklärten Patrioten über „eine Armee und kein Vaterland“

von BETTINA GAUS

Der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm sagt lauter angemessene, vernünftige Sätze. „Die Würde des Menschen ist wichtiger als jede Dienstvorschrift.“ Deshalb findet der General a. D. das Prinzip der Inneren Führung bei der Bundeswehr sehr gut. Er spricht sich auch für das weitere Zusammenwachsen von Europa aus. Außerdem warnt der CDU-Politiker die Westdeutschen vor Hochmut ihren ostdeutschen Landsleuten gegenüber: „Wir kommen nicht als Sieger zu Besiegten. Wir kommen als Deutsche zu Deutschen.“

Am Rednerpult steht ein braver Biedermann, politisch ganz und gar korrekt. 1990 war der damalige General als Befehlshaber des Territorialkommandos Ost für die Auflösung der Nationalen Volksarmee zuständig. Deshalb hat ihn vergangene Woche der Verein „Politisches Forum Ruhr“ gebeten, in einem Saal des Essener Messegeländes über die Bundeswehr und die deutsche Einheit zu sprechen: „Eine Armee und kein Vaterland?“ Einer Einladung des Vereins, der sich als überparteiliches Diskussionsforum engagierter Bürger versteht, sind auch schon der SPD-Ministerpräsident Wolfgang Clement und Cem Özdemir von den Grünen gefolgt. Jede Demokratie braucht den Streit der politischen Meinungen. Warum will dann auf der Veranstaltung mit Jörg Schönbohm ein Gefühl der Beklemmung nicht weichen?

„Für unser Volk“

Die jüngsten Übergriffe auf jüdische Einrichtungen sind nicht das Thema seiner Rede. Er muss sie nicht erwähnen, und er tut es auch nicht. Aber was geht in einem deutschen Politiker vor, der ausgerechnet in diesen Tagen auf Juden nur in ganz anderem Zusammenhang zu sprechen kommt? Deren Ermordung im Dritten Reich habe das Klima in der Bundesrepublik stark geprägt, sagt Schönbohm. Die deutsche Geschichte sei auf zwölf Jahre reduziert worden. Man habe geglaubt, auf sie nicht mehr stolz sein zu können. Das hält der CDU-Politiker für falsch: „Die Tiefen akzeptieren wir, aber wir sollten die Höhen darüber nicht vergessen. Wir haben keinen Grund, unser Haupt mit Asche zu bestreuen.“ Und: „Wir sollten uns auch wieder zu unserem Vaterland und zu unserer Nation bekennen. Nicht gegen andere, sondern für unser Volk.“ An dieser Stelle klatscht das Publikum besonders heftig.

An einem Stammtisch wird anders geredet als auf einem Podium. Das gilt für alle politischen Lager. Deshalb haben sie auch alle ihre Sprachregelungen und Schlüsselwörter, mit deren Hilfe sich Gleichgesinnte untereinander erkennen. Es mag gelegentlich nicht opportun sein, eine Ansicht ganz offen auszusprechen – aber wer dazu gehört, weiß, was gemeint ist. Diese doppelbödigen Signale so auszusenden, dass sie verstanden werden, aber nicht nachgewiesen werden können, ist eine Kunst. Jörg Schönbohm hat es darin zur Meisterschaft gebracht. Natürlich habe die Bundeswehr ein Vaterland, sagt der 63-Jährige: „Ein Volk, ein Staat, eine Armee.“ Er spricht von der „Nation als Schicksalsgemeinschaft“ und sagt, dass es die Transferleistungen von West nach Ost „vor allem“ deshalb geben muss, weil „wir als eine Nation, als ein Volk in einem Staat leben“. Ihm liegt das Thema auch aus biografischen Gründen am Herzen: „Der Beruf des Soldaten ist ja verbunden mit einer besonderen Beziehung des Soldaten zu seinem Volk. Das ist keine Söldnertruppe.“ Was will er damit sagen? Seine Zuhörer scheinen ihn ohnehin zu verstehen. „Mit der deutschen Einheit hatten wir wieder das Glück, Patrioten zu sein“, erklärt Schönbohm. Aber nicht alle hätten sich darüber gefreut: „Die Reaktion der deutschen Intellektuellen auf die Einheit war Ablehnung – bis auf Walser.“

Das „Politische Forum Ruhr“ lädt zu seinen Veranstaltungen die Zuhörer persönlich ein. 5.000 Namen umfasst die Adressenkartei, vom Universitätsprofessor bis zum Unternehmer. Es sei schon so, dass die jeweiligen politischen Anhänger der Vortragenden im Allgemeinen in der Mehrheit seien, sagt Geschäftsführer Markus Kiefer.

Ein aufgeklärter Patriot

Diese Regel gilt erkennbar auch an diesem Abend. Mehr als 500 Gäste haben sich eingefunden, ganz überwiegend Männer, viele Offiziere in Uniform. „Ich bedaure, dass ich im normalen Verkehr zu wenig Soldaten im so genannten Ehrenkleid sehe“, beklagt in der Diskussion nach der Rede ein älterer Herr. Die jungen Männer bräuchten sich doch eigentlich nicht zu schämen. Schönbohm antwortet, dass er es auch schön fände, wenn mehr Soldaten die Uniform trügen. Aber das müssten die jungen Leute selber entscheiden.

Wie sich das Verhältnis zu den sowjetischen Gesprächspartnern im Zuge des Vereinigungsprozesses gestaltet habe, will ein Zuhörer wissen. Schönbohm erinnert sich gerne daran. Seinerzeit habe er dem sowjetischen Offizier erzählt, dass er und seine Familie 1945 vor der Roten Armee aus Brandenburg geflohen seien. Dann habe er gesagt: „Ich freue mich, jetzt als General des wiedervereinigten Deutschland mit Ihnen über einen Abzug zu sprechen.“ Ein später Triumph? Nicht doch. Natürlich betont Schönbohm heute im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung auch: „Die Leistung der Sowjets ist wirklich hoch einzuschätzen.“ Ein Offizier steht auf: „Warum braucht ein Soldat ein Vaterland, und warum hat man heute dieses blöde Gefühl, wenn man sich dazu bekennt, ganz weit rechts zu stehen?“ Das Publikum klatscht. Er sei „sehr klar“ für einen „aufgeklärten Patriotismus“, erklärt Schönbohm. „Wir sollten auch nicht feige sein. Wenn wir uns scheuen, diese Dinge anzusprechen, dann machen wir einen schweren Fehler.“

Manch andere Dinge kommen an diesem Abend nicht zur Sprache. Der Rechtsextremismus zum Beispiel. Seine Redezeit sei ohnehin knapp bemessen gewesen, sagt der Innenminister nach dem Ende des offiziellen Teils der Veranstaltung. Er habe aber eigentlich angenommen, dass das Thema in der Diskussion zur Sprache kommen werde. „Am Ende habe ich plötzlich gedacht: Mensch, da hat ja keiner gefragt.“ Nein, da hat keiner gefragt.