Wer spät auftaucht, den straft das Leben

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aus Frankfurt am Main HEIDE PLATEN

Der Häftling Hans-Joachim Klein (52) hofft, heißt es, auf ein Wunder. Im südhessischen Gefängnisneubau Weiterstadt träumt er von der Normandie und davon, wieder mit seinen beiden Kindern zusammensein zu können. Daraus wird wohl vorerst nichts werden. Klein ist des dreifachen Mordes und der Geiselnahme angeklagt. Heute beginnt sein Prozess vor der 21. Strafkammer des Frankfurter Landgerichts. Dass die Tat vor 25 Jahren begangen wurde, wird ihm nicht helfen: Mord verjährt nicht.

Am 21. Dezember 1975 hatte ein internationales Terrorkommando unter Führung von Ilich Ramirez Sánchez, genannt „Carlos“, die Konferenz der Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec) in Wien überfallen und elf Ölminister als Geiseln genommen. Dabei Hans-Joachim Klein, den die „Revolutionären Zellen“ (RZ) angeworben hatten. Bei einem Schusswechsel starben drei Menschen. Klein wurde durch einen Bauchschuss verletzt. Einer der Toten wird Carlos zugerechnet, einer der 1995 an Krebs gestorbenen Gabriele Tiedemann, Deckname „Nada“. Der dritte Tote, sagt Klein, gehe ebenfalls auf ihr Konto. Er beteuerte in den vergangenen Jahren immer wieder, er habe nicht geschossen und schon gar niemanden getötet. Carlos habe sein Wort gebrochen, als er mit der Schießerei begann.

Klein wurde in Wien notoperiert, zusammen mit den Geiseln ausgeflogen und in einem Krankenhaus in Algier behandelt. Später setzte er sich von dem Terrorkommando ab, tauchte unter und schickte seinen Revolver nebst Munition im April 1977 an die Redaktion des Spiegel. In einem Aufruf verriet er weitere Entführungspläne der Gruppe und forderte seine GenossInnen im Untergrund auf, die Waffen wegzuwerfen.

Klein, nun gleichzeitig auf der Flucht vor seinen ehemaligen Mitstreitern und der Polizei, versteckte sich in mehreren europäischen Ländern und wurde dabei von französischen und deutschen Intellektuellen unterstützt. In Frankreich verliebte er sich, wurde zweimal Vater. Er lebte auch mit Frau und Kindern einsam, versorgte den Haushalt. Die Ehe zerbrach an der Isolation. Klein zog in ein Dorf in der Normandie, gab sich als Journalist Dirk Clausen aus, war beliebt bei den Nachbarn. In Wirklichkeit war er depressiv, dachte an Selbstmord. Durch Vermittlung des grünen Europa-Abgeordneten Daniel Cohn-Bendit bekam er Kontakt zum deutschen Verfassungsschutz, der versuchte, RAF und RZ mit einem Aussteigerprogramm beizukommen.

Am Ende war er, sagen seine Betreuer, bereit, sich zu stellen. Doch er zögerte diesen Schritt immer wieder hinaus, soll panische Angst vor dem Eingesperrtwerden gehabt haben. Seither ist umstritten, ob die Fahnder ihn am 8. September 1998 in Sainte-Honorine-la-Guillaume verhafteten, um ihm zuvorzukommen und die Festnahme als ihren großen Fahndungserfolg verbuchen zu können, oder ob sie zwar von seinen Absichten wussten, ihm aber den Mut zur Selbstauslieferung nicht zutrauten.

Klein ist von Frankreich nicht an Österreich, den Ort der Tat, sondern an Deutschland ausgeliefert worden. Dass die Anklage nicht, wie bei Terroristenprozessen üblich, von der Bundesanwaltschaft, sondern von der Frankfurter Staatsanwaltschaft vertreten wird, liegt daran, dass alles schon so lange her ist: Terrorismus verjährt, Mord nicht. Der zuständige Staatsanwalt Volker Rath hat seit fast zwei Jahrzehnten noch eine andere Obsession. Vergeblich versuchte er, den Mördern auf die Spur zu kommern, die 1981 Hessens Wirtschaftsminister Heinz Herbert Karry erschossen hatten.

Über Klein, der kurzfristig sozusagen in der internationalen Liga des Terrorismus spielte, hofft er nun, in der Kreisliga fündig zu werden. Rath vermutete die Karry-Mörder immer in Kreisen der RZ und der Gegner des Baus der Frankfurter Startbahn West. Und überrascht die Öffentlichkeit seit einigen Wochen mit einer gewagt linearen Vermischung beider Fälle. Der Frankfurter Klein müsse, mutmaßt er, aus seiner Zeit in der Frankfurter Sponti-Szene und im Häuserkampf vor 1975 auch andere RZ-Mitglieder kennen. Und die kämen dann als potentielle Karry-Mörder infrage.

Dieser gerade Weg des Volker Rath führt in die Irre. Zwischen beiden Taten liegen jene sechs Jahre, in denen die außerparlamentarische Opposition einschließlich des Häuserkampfes in die Jahre kam, sich spätestens ab 1975 vom Terrorismus distanzierte und von der neuen Anti-Atom- und Ökologiebewegung weitgehend abgelöst wurde. Klein aber, der auf milde Richter hofft, gerät durch diese Konstruktion zusätzlich unter Druck. Nennt er keine Namen, kann das straferschwerend wirken. Nennt er welche, nützt ihm das auch nichts. Denn die Kronzeugenregelung käme für ihn nicht in Betracht: Zur Zeit der Tat 1975 gab es sie noch nicht, bei seiner Verhaftung war sie schon wieder abgeschafft.

Mit seinen bisherigen Aussagen jedenfalls konnte er seine Situation kaum verbessern. Zum einen beschuldigte er den libyschen Staatschef Gaddafi als Drahtzieher des Opec-Attentats. Das ist wohl weder zu beweisen, noch passt es in die derzeitige politische Landschaft. Zum anderen nannte er den Namen Rudolf Schindler. Der habe ihn damals rekrutiert, sei an der Vorbereitung in Wien beteiligt gewesen und habe ihn später als Abtrünnigen verfolgt und umbringen wollen. Rudolf Schindler wurde daraufhin ebenfalls verhaftet und sitzt nun, ihm vermutlich spinnefeind, mit Klein zusammen auf der Anklagebank. Der hat schon 1992 in einem Interview über sich selbst gesagt: „Ich bin ja kein Opfer. Ich habe mir das alles selbst eingebrockt.“