Großstadtaggregate

Das Kammerorchester für aktuelle Musik „Finale 21“ zu Gast im Klub N+K auf Kampnagel  ■ Von Kerstin Wiese

Zeitgenössische Musik und Lautsprecherdurchsagen, szenische Lesungen und Klangobjekte: In der Konzertreihe „Aggregate“ erprobt das Kammerorchester Finale 21 die Wechselbeziehungen zwischen den Gattungen. Das Spezialensemble für aktuelle Musik gründete sich 1999 mit einem besonderen Anliegen: Um die ablehnende Haltung des Publikums gegenüber der Musik des 20. Jahrhunderts aufzubrechen und neue Hörerfahrungen zu ermöglichen, machten es sich die Leiter Jan Dvorak und Malte Ubenauf zur Aufgabe, die traditionelle Konzertform um ungewöhnliche Elemente zu erweitern. Der Dirigent und Komponist Dvorak und der Regisseur und Komponist Ubenauf bewegen sich seitdem auf der Grenze zwischen Konzertsaal und Theaterwelt.

Jeder „Aggregate“-Abend hat sein Thema. Nach den Kahlen Räumen und Das Haus aufsagen geht es nun im dritten und letzten Teil um die Landschaften nach der Schlacht. Der Titel zitiert ein Buch des spanischen Schriftstellers Juan Goytisolo, dessen sozial realistische, ironische oder groteske Texte das Musikprogramm umrahmen und zugleich das zentrale Motiv liefern: Die Großstadt in all ihrem Chaos, in ihrem Tempo und ihrer Anonymität ist es, die im Mittelpunkt des Konzertes steht. Als spezifischer Ausdruck der modernen Lebenswelt hat sie die Künstler des 19. und 20. Jahrhunderts nachhaltig fasziniert. Auch und gerade die Neue Musik befasste sich mit ihren synthetischen Qualitäten, wobei Komponisten wie Anton von Webern oder Edgard Varèse ganz unterschiedlich auf die veränderten Lebensbedingungen reagierten.

Während für Webern Musik nur noch im Privaten funktionierte, komponierte Varèse eine wahre Großstadtmusik: „Rückzug verso Mitschreien“ lautet der Gegensatz, erläutert Dvorak, der das Programm gemeinsam mit Ubenauf zusammengestellt hat. Beide haben außerdem eigens für den Anlass neue Werke komponiert, die nun zur Uraufführung kommen.

Ebenfalls extra für das Konzert entwarf Jan Feddersen zusammen mit dem Objektkünstler Bernhard G. Lehmann eine Klanginstallation: Bis zu zwei Meter hohe Metallstäbe stehen auf schmalen Grünstreifen, die an Verkehrsinseln erinnern und damit das Thema „Kunst im Öffentlichen Raum“ ansprechen. Die schilfähnlichen Rutenbündel dienen einem Schlagzeuger als Musikinstrument, parallel werden Feddersens Kompositionen quadrophon vom Band abgespielt.

Lesende und Musiker wechseln sich ab, auf eine klassische Bühnensituation wird dabei verzichtet. Die Künstler bespielen den gesamten Raum, mal stehen sie vor dem Publikum, dann tauchen sie hinter oder neben ihm auf. Um Grenzgänge geht es, und das eben auch in der Art der Darbietung.

18./19.10., je 22 Uhr, Klub N+K, Kampnagel, Einführung 21.30 Uhr; 20.10., 20 Uhr, Kunst-Raum, Drochtersen-Hüll/Stade