Transvestieren, und zwar heftig

■ Skandal, Betrug, Bierzelt: Lilo „Wa(h)re Liebe“ Wanders versteigerte im Freimarkts-Hansezelt ihr rotes Sofa

Man sollte keine Heteros auf eine solche Veranstaltung schicken. Ehrlich. Nicht, dass man sich am Montagabend im Hansezelt bei der zweiten Gaynight irgendwie als Minderheit hätte fühlen können. Zwar war die ganze schwullesbische Szene da – Transvestit Sally/Cindy/Gerda checkte routiniert ab, ob die Belegschaft des „Bronx“, des „Bienenkorb“ oder der einschlägigen Saunaclubs anwesend sei. Immer jubilierte ein Grüppchen aus einer Ecke des Bierzelts.

Nicht, dass man sich einsam gefühlt hätte, als Hetero, also. Denn das Hansezelt ist groß. Größer als die Schwullesben-Szene. Und es war rappelvoll.

Da waren etwa die zwei männlichen Prachtexemplare in der dritten Reihe. Die begafften die zwei schönen knutschenden Lesben, phantasierten von einem flotten Vierer und baggerten und touchten so vulgär, bis die zwei Liebenden das Weite suchten. Da war der knackige Bodyguard, der zu vorgerückter Stunde in den Pulk vor der Bühne stürzte, und – begrenzte Massenpanik – auslösend, einen Mann in den Schwitzkasten nahm, der gerade eine Frau angefasst hatte. Nur: Sie waren wohl ein Paar. Und schließlich war da das Programm.

„Seid Ihr alle da? Fuck you!“, vulgarisierte Transvestit Sally/Cindy/Gerda in herzerbarmender Provo-Manier und fragte mindestens zweimal, ob sich die anwesenden Quoten-Heteros auch wahrlich amüsieren, um dann in vorsätzlicher Weise mit schrecklicher Stimme die Spider Murphy Gang und die Rocky Horror Picture Show zu zitieren, Mucke vom Band.

Mucke vom Band. In den Pausen zwischen den Live-Acts heizte DJ Franky/Freddy/Fritzi ein, zeigte gar den Bund seiner Calvin-Klein-Shorts. „Zickezacke, zickezacke ...?“, fragte er gen hochverehrtes Publikum, das sich nicht lumpen ließ und „hoihoihoi!“ intonisierte. Boahhhhh, geil, Gruppenfeeling. Die zusammengeschnittene Musik, eine Strophe maximo: Marke „sieben CDs der Extraklasse, das Beste der 60er, 70er, 80er und 90er, nurbeiuns, nichtimhandel bestellensiejetzt, nurneunundzwanzigneunundneunzig“.

Irgendwann der Hauptact, Lilo Wanders, Transvestit aus Hamburg und berühmt geworden durch Moderation der Sendung „Wa(h)re Liebe“. Bekannt geworden war sie mit ihrem Kabarett-Programm, aus dem sie schöpfte, schöpfte, schöpfte. „Man müsste mir ein Verwundetenabzeichen geben, so viele Beziehungen habe ich schon überlebt.“ „Die Größe spielt keine Rolle – Hauptsache ER schmeckt.“ Endlich, nach 17 Minuten: „Ich habe mich verplaudert.“ Gesungen hatte sie übrigens auch.

Doch der Haupthaupthauptact war noch weit entfernt: Zu Gunsten der Aids-Hilfe Bremen sollte das Lilo-Wanders-„Wa(h)re Liebe“-Sofa versteigert werden. Doch vorher nochmal Sally/Cindy/Gerda („Was haben Helmut Kohl und ein Samenspender gemein? Die Spender bleiben anonym.“), Franky/Freddy/Fritzi („Wie geht's Euch??“) und die tatsächlich begabte Michaela („I will always love you-houhou“, „New York, New York“). Dann war da noch „Don Juan“, der geschlagene fünf Lieder brauchte, um sich aus fünf Schalen Requisiten herauszupellen und seinen Schniedel zu zeigen. Er hatte einen tätowierten Kopf und etwas Fett, das wahrscheinlich Muskeln waren.

Dann wieder die Lilo „Ich-habe-mir-jetzt-die-Haare-hochgesteckt-und-sehe-nun-aus-wie-eine-Apo thekerin-aus-Walle“-Wanders. Das rote Sofa war seines Zellophans entledigt worden und stand da, den Fantasien des Publikums freigegeben: Welch Porno-Sternchen hatte da schon drauf gesessen? Das S/M-Pärchen mit dem Kack-Fetisch? Der Dildo-Gießer, Videoproduzent, Päderast. Ahhhhhhh – Wonne.

„Ich muss gestehen“, unterbricht Wanders den Gedankengang, „es ist nicht das echte ,Wa(h)re-Liebe'-Sofa. Macht aber nix, es wurde gespendet vom Möbelhaus Flamme.“ Das erste Gebot nach Einstieg bei 2.000 Mark? Schnell schraubt sich die Zahl nach oben und Lilo bekommt „eine Hitzewallung nach der anderen“ und “transvestiert ganz heftig“. Erlösung: 8.200 Kröten für das beschissene Sofa, aber für einen guten Zweck. Der Spender ist der sympathischste Mann im Raum, braungebrannt, keine alkohol-glänzenden Augen, und den Scheck hat er sogar auch dabei. Ein Juwelier aus der Sögestraße, der's „für die Sache“ ersteigert hat, weil er das „Bremen einfach schuldig“ ist.

Nein, Heten verstehen das wohl einfach nicht. Dieses programmig-trashige. Dieses Selbstgefeiere ohne Qualitätssicherung. Die Leute, frühzeitig benebelt, gaben sich vergnügt und anspruchslos. Eingetragene Lebensgemeinschaften, Bierzelt – endlich sind die „Exoten“ in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Der geknickt-vergnügungssüchtige taz-Kollege kommt vorbei, bekennt, kleinlaut, er schäme sich für das hier abgegebene Bild seiner Szene. Aufrecht, aufrecht. cd