Klimm(t)-Züge für neues Bauen

Bundesbauminister startet in Berlin „Initiative Architektur und Baukultur“. Vorbildfunktion der öffentlichen Bauten

Wenn der Baukatalog anstelle der Baukultur in den Städten den Ton angibt, ist die Qualität in der Architektur meist auf den Hund gekommen. Renditebauten von der Stange, wie sie von privaten Investoren in den Citys und an der Peripherie hochgezogen werden, beeinträchtigen jedoch nicht allein das Stadtbild. Vielmehr wirken sich diese auf das soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben in der Stadt aus. Wo Ödnis am Bau herrscht, bei Shopping-Malls, Bürozentren oder schlichter Siedlungsarchitektur, hat Urbanität und Lebensqualität keine Chance mehr. Die Stadt stirbt.

Zehn Jahre nach dem Fall der Mauer ist diese Binsenweisheit auch bis ins Bundesbauministerium vorgedrungen. Nachdem, besonders im Osten der Republik und in Berlin, Architektur und Stadtgestaltung vorwiegend privaten Großbauherren überlassen wurde, hat Bauminister Reinhard Klimmt (SPD) gestern zu einer „Initiative für Architektur und Baukultur“ aufgerufen, die dem Bauen und dem Städtebau „neue Impulse“ geben soll. Ein Jahr lang soll auf Veranstaltungen und Ausstellungen mit Architekten, Politikern und Bürgern nach Strategien und Instrumenten gesucht werden, den „Rückstand“ bei innovativer und qualitativer Architektur wieder aufzuholen.

Der Rahmen der Tagung mit rund 300 Teilnehmen war mit Bedacht gewählt: das neu eröffnete Bundesbauministerium, das in einem sanierten Altbau in der Berliner Invalidenstraße residiert, und an den ein Erweiterungsbau anschließt, der Alt und Neu zu einer Synthese werden lässt. Ebenso wie der Standort des Ministeriums müsse der Schwerpunkt des Bauens „im Bestand“ und der „Sicherung, Modernisierung und Verbesserung für die Bewohnbarkeit der Stadt“ liegen, sagte Klimmt.

In der Stadt und nicht außerhalb, an den Rändern, müssten sich Planen und Bauen verstärkt durchsetzen – als „qualitätvolle Architektur und mit qualitätvollen öffentlichen Räumen“, um die Menschen in der Stadt zu halten. „Der Dialog über Baukultur kann nicht nur entlang von baulichen ‚Highlights‘ geführt werden“, so Klimmt. „Noch wichtiger ist die Alltagsarchitektur von Mietwohnungen und Reihenhäusern“ und der „Gebrauchswert für den Nutzer, die Kosten, der Verbrauch an Energie und an natürlichen Ressourcen“.

Dass Klimmt in der Frage der Baukultur nicht den privaten Bauherren das Spielfeld überlassen will, ist evident. Wurde die öffentliche Hand in den letzten Jahren am Bau zurückgedrängt, so fordert der Bauminister nun die Renaissance der Aktivitäten bei Baumaßnahmen der Städte, Kommunen und des Bundes. Der öffentliche Bauherr habe „Vorbildfunktion“, so Klimmt. Gerade bei den Bundesbauten in Berlin – dem Umbau des Reichstags, den Ministerien und Parlamentsbauten – sei „hohe Qualität“ erreicht worden. Energieeinsparung, Kunst am Bau und die Miteinbeziehung des öffentlichen Raums bei der Planung hätten diese Vorbildfunktion befördert.

Doch nicht alles, was die „Demokratie als Bauherr“ auf den Weg bringt, geht beispielhaft voran. Das Bundesamt für Bauwesen, rechnete Peter Conradi, Präsident der Bundesarchitektenkammer, vor, „hat seit 1996 bei 15 Bauvorhaben keinen offenen Wettbewerb ausgelobt“. Weder junge Architekten noch neue Ideen hätten so eine Chance für innovatives Bauen, das etwa in den Nachbarländern durch eine gezielte Baupolitik gefördert werde.

Conradi kritisierte, dass beispielsweise die Stiftung Preußischer Kulturbesitz für die Erweiterung des Pergamonmuseums „mühsam zu einem Wettbewerb genötigt werden musste“ und dann nach „Gutsherrenart ganze sieben Architekten eingeladen“ hatte. Die Förderung der Architektur und der Bauwettbewerb bei großen Bauten müssten „wieder zum Regelfall werden“. Nur so rücke die Baukultur wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein – der Garant für qualitätvolle Architektur.

ROLF LAUTENSCHLÄGER