Auf süße und elegante Art durch den Nebel gleiten

Wahre Lokale (41): Die „Old Fashioned Bar“ in Hamburg-Hoheluft ist kein Ort für Schnapsnasen, Schluckspechte, Auf-Ex- und Stiefeltrinker

Wenn Sie jemals jemanden von einer „urigen Kneipe“ schwärmen hören, sollten Sie zu Ihrem Gesprächspartner auf Distanz gehen. Und, wichtiger noch: Meiden Sie die angepriesene Gaststätte. Zu den Ausnahmen gehört die „Old Fashion Bar“ in Hamburg-Hoheluft. Ja, sie ist tatsächlich urig: Trödelladen-Kitsch, wohin das Auge reicht, besonders die Imitate alter Straßenlaternen fallen unangenehm auf. Hinzu kommt, dass – nicht urig, aber affig – an der Wand Fotos hängen, auf denen Richard von Weizsäcker mit dem Maître de maison zu sehen ist. Doch dass es hier alt aussieht, ist egal.

Denn hinter dem Tresen regiert ein Mann, der all das verkörpert, was man Monsieur von Weizsäcker gern zu Unrecht nachsagt. Achim F. Eberhardt, stets mit schwarzweiß gestreifter Weste und Fliege bekleidet, ist ein mondäner Grandseigneur; es schadet seinem Auftreten nicht einmal, dass er heftig lispelt. Der robuste Kahlkopf ist einer der großen deutschen Cocktailmeister, und in der „Old Fashion Bar“ spielt er seine ganze internationale Erfahrung aus. So war er, im Gegensatz zu von Weizsäcker übrigens, schon einmal in der Beach Bar auf Maui, wo ihm ein anderer Tresen-Gigant das Rezept für den Maui Fizz verraten hat. Mixmeister Achim F. sorgt nun schon seit 32 Jahren dafür, dass diese Bar der bevorzugte Anlaufpunkt für Menschen ist, die es schätzen, auf süße und elegante Weise betrunken zu werden.

Natürlich ist die Location im Eppendorfer Weg 211 kein Ort für Schnapsnasen, Schluckspechte, Auf-Ex- und Stiefeltrinker. Man muss Zeit mitbringen, um den Zauber zu spüren von Martinique Shrubb (Saint James Rhum, Vanille, Zimt, Orange, Limette), Pusser’s Painkiller (Jungferninsel-Rum, Coco-Liqueur, Ananas) oder Fog Cutter (zweierlei Rum plus Sherry). Wer, so verspricht der Herr des Hauses, letzteren Drink zweimal bestellt, werde „den Nebel nicht mehr sehen“. Sollte tatsächlich einmal ein Gast die Orientierung verlieren, greift Eberhardts Gattin ein. Zum Beispiel, wenn jemand, der die obligatorische Cocktailkirsche verschmäht, diese derart auf seiner Serviette platziert, dass es arg unhygienisch anmutet. Und lässt ein Berauschter sein Mobiltelefon liegen, rennt Frau Eberhardt hinterher. Manchmal assistiert ihr eine junge Dame mit Skinhead-Mädchen-Frisur.

Diese Kellnerin fügt dem Menschen-Mix in der „Old Fashion Bar“ noch eine überraschende Facette hinzu. Ansonsten reicht das Spektrum von „Meinst du ’ne Webcam oder so?“-Typen bis zu „Ich träume von einer Reise zu den Australian Open“-Typinnen. Und dann kommt tatsächlich noch einer rein, der zum ersten Mal den Jahrhunderte alten Kino-Spot von Flensburger gesehen hat, weshalb er ihn jetzt lachend rezitiert („Das ist ’ne Frage von Ausstrahlung, ich sach mal Charisma, huahahahaha“). In so einer Situation muss man nur den Strohhalm zum Mund führen, sich ein bisschen magischen Content einverleiben, und alles wird wieder gut. Möglich aber auch, dass der Gedanke, dem Pazifismus abzuschwören, kurzfristig aufgekommen angesichts des sanktionswürdigen Verhaltens der Gäste, beiseite geschoben wird von Edwin Starr, der aus den Boxen skandiert: „War? Huh! What is it good for? Absolutely nothing!“

Repräsentativ ist dieser Song für den konzeptlosen Musik-Mix allerdings nicht. Manchmal kommt eine Reggae-Perle zum Vorschein, und man vergisst für kurze Zeit so manche Sauerei, doch die meiste Zeit gilt: In der „Old Fashion Bar“ trinken wir wie im Garten Eden, aber die Musik wirkt eher wie der Soundtrack für die Henkersmahlzeit. Vorbildlich dagegen die Getränkekarte, die zudem als Hausmitteilungsblatt fungiert. Die Old Fashion News, jährlich neu aufgelegt, liefern Informationen, die anderswo unterdrückt werden. Im Editorial der aktuellen Ausgabe erfahren wir zum Beispiel, was die „Fusionen im Weltmarkt“ angerichtet haben: Die renommierte jamaikanische Marke Sangster’s Rum wird nicht mehr produziert, weshalb Eberhardt einige Kreationen ändern musste. An anderer Stelle saugen wir bisher unbekannte Superlative auf („Rum – die mixablste Spirituose der Welt“). Oder neckisch Philosophisches („Arbeit macht nicht reich“).

Dringend anzuraten ist, nach dem Besuch der „Old Fashion Bar“ keine weiteren Abendtermine anzusetzen. Nach zwei Drinks is immer Daddeldu, wie man in Hamburg sagt. Doch Wünsche sind dann sowieso keine mehr offen, schließlich befindet man sich im rumigen Glückszustand. Und diese Seligkeit ist von keinerlei dunkler Vorahnung an den nächsten Morgen getrübt. Denn der Rausch, den uns Achim F. Eberhardt schenkt, ist ohne Reue. RENÈ MARTENS