Boomende Ratings

Politik und Paralympics: Auch bei Olympia der Behinderten klüngeln Australiens Parteien. Die Sydneysider hoffen allerdings nach der heutigen Eröffnungsfeier wieder auf berauschende Spiele

aus Sydney MATTI LIESKE

Diesen Fehler wird Kim Beazley nicht noch einmal begehen. Im Vorfeld von Olympia in Sydney, als der Ruf der Organisatoren durch den Ticketskandal ins Bodenlose sank, hatte der australische Oppositionsführer voll populistischen Überschwangs erklärt, er verzichte auf seine Olympiakarten, seine Plätze sollten „normale Bürger“ einnehmen. Während der Spiele durfte er dann grummelnd auf der Mattscheibe betrachten, wie Premierminister John Howard nahezu jede australische Medaille von der Tribüne begrinste und eine positive Publicity einheimste. Bei den Paralympics ist jetzt auch Beazley mit von der Partie, der Labourpolitiker wird nicht nur die Eröffnungsfeier mit seiner schwergewichtigen Präsenz bereichern, sondern auch diverse Wettkämpfe. Zu seinem Leidwesen dürfte er dort auf John Howard treffen, dem die Paralympics gerade recht kommen, um vom Skandal um seinen Minister Peter Reith abzulenken. Der hatte 1994 die Daten seiner Dienst-Telefonkarte an seinen Sohn weitergegeben, was mittels eines „Schneeballeffektes“ (Reith) inzwischen eine von der Staatskasse treulich beglichene Rechnung von umgerechnet rund 60.000 Mark für Telefonate aus aller Welt zustande kommen ließ.

Peter Reith wird sich bei der Paralympics-Eröffnung kaum blicken lassen, dafür werden Beazley und Howard in der guten Gesellschaft von 100.000 anderen Mitbürgern sein. Das Stadium Australia ist wie vor fünf Wochen ausverkauft, obwohl die Zeremonie wesentlich bescheidener ausfallen wird und nur ein Zehntel des olympischen 50-Millionen-Dollar-Spektakels kostet. Berauscht vom weltweiten Ruhm als ideale Gastgeber und wild entschlossen, die Party noch nicht enden zu lassen, haben sich viele Sydneysider während der Spiele und danach entschlossen, auch die Paralympics als Teil des Olympiafestes willkommen zu heißen. Dies, obwohl die finale Kampagne für die Spiele der Behinderten mit einem glatten Fehlstart begonnen hatte. Just, als Organisationschefin Lois Appleby auf einer Pressekonferenz die Öffentlichkeit auf die Paralympics einzuschwören versuchte, hatte Olympiaminister Michael Knight seinen Rückzug aus der Politik zum Jahresende erklärt, was dazu führte, dass Mrs. Appleby die Journalisten in Scharen davonliefen, um Knight ausfindig zu machen. Umso pikanter, als der für brachiales Vorgehen bekannte Politiker auch Minister für die Paralympics ist. Aber die Sache funktionierte auch so. 820.000 bislang verkaufte Tickets stellen Paralympics-Rekord dar, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Eintritt 1992 in Barcelona frei war. Anders als in Atlanta vor vier Jahren, wo die Behindertenspiele von den privaten Olympia-Organisatoren praktisch im Stich gelassen wurden, haben staatliche Instanzen in Sydney mit zunächst umgerechnet 60 Millionen Mark und einem weiteren 24-Millionen-Zuschuss vor vier Monaten den Etat gesichert.

Logistik und Personal sind weitgehend mit denen der Olympischen Spiele identisch. Bis hin zu den Dopingkontrollen, ein besonders heikles Kapitel im Behindertensport, zum einen, weil etliche Athleten Medikamente benötigen, die auf der Dopingliste stehen – oder dies behaupten –; zum anderen, weil IOC und die Weltdopingagentur Wada, wie Michael Riding, medizinischer Direktor des Paralympics-Weltverbandes beklagt, „nicht interessiert“ sind und es kaum Trainingskontrollen gibt.

Verdreifacht hat sich im Vergleich zu Atlanta die weltweite Fernsehberichterstattung, Verträge wurden mit mehr als hundert Ländern geschlossen. So wie Kim Beazley bei Olympia der Dumme war, ist es der private Fernsehsender Seven bei den Paralympics. Der Kanal, der mit seiner exklusiven Berichterstattung im September immense Einschaltquoten erlangte, hatte die Paralympics frühzeitig abgewimmelt. Nun freut sich ABC mit zwei täglichen Sendungen auf boomende Ratings. Einen weiteren Boom wird auch der neugeborene australische Nationalismus erleben. Nachdem kürzlich sogar das raubeinige Footie-Team anlässlich eines Sieges gegen Irland in Dublin die zuletzt weitgehend missachtete Nationalhymne sang, sollen Australiens populärste Behindertensportlerin, Louise Sauvage, die im Rahmen der olympischen Leichtathletikwettbewerbe bereits als Siegerin eines Demonstrations-Rollstuhlrennens frenetisch gefeiert wurde, und das restliche australische Team eine weitere Medaillenflut über das Land schwappen lassen.

Meaghan Starr, eine 16-jährige Leichtathletin, ist sicher, dass die Begeisterung ähnlich groß sein wird wie vor drei Wochen: „Den Australiern ist es egal, ob ein Athlet ein Bein hat oder zwei.“