Liebe, ganz ohne Kuss

■ Back to the roots: Zhang Yimous Filme werden immer einfacher und altmodischer – und das ist durchaus rührend

Eine Vorliebe für das historische China bewies Zhang Yimou schon öfters und vielleicht wird irgendwann mal sein ganzes Werk zu subsumieren sein unter dem Motto „Traditionssicherung in Zeiten stürmischen Umbruchs in China“. Aber frühere Filme wie „Das rote Kornfeld“ und „Die rote Laterne“ waren immerhin in der Opulenz ihrer Bilder und in ihrem Gestus der Epochenzusammenschau noch irgendwie hollywoodkompatibel. „Keiner weniger“ und erst recht „Heimweg“ bemühen sich nun auch in ihrer schlichten, schneckengeduldigen Erzählweise um eine Befreiung von allem Zeitgeistigen.

Die Geschichte der 18-jährigen Zhao Di, die sich in den 20-jährigen Dorfschullehrer Changyu verliebt, ist von so bestürzender Einfachheit, dass sich der westliche Betrachter eine Wertung niemals anzumaßen wagte, auch wenn ihm dieses Antiartifizielle bis zum Ende fremd bleibt. Wahrscheinlich ist es die Achtung vor dem substanziell Anderen, die Zhang Yimou für diesen Film jüngst in Berlin den Silbernen Bären eingebrachte. Und irgendwie fängt man am Ende sogar ein wenig zu grübeln an, ob das, was wir Kitsch nennen, nicht doch ein wichtiger Bestandteil des Lebens und überhaupt ist.

Zhao Di (gespielt von Zhang Ziyi, die wie die jugendliche Ausgabe von Gong Li wirkt) lebt in einem winzigen Kaff. Es ist 200 Kilometer von Peking entfernt, und doch atmen die Grashügel und herrlichen herbstgelben Birkenwälder schon den einsamen, weltenthobenen Geist mongolischer Steppe. Zum ersten Mal kommt ein Lehrer ins Dorf. Ihn sehen und ihn lieben, ist für Zhao Di eins. Sie zeigt ihm das durch ihre Kochkünste, der einzige Weg für Frauen am Dorf.

Auch eine zweijährige Verbannung des Lehrers aus dem Dorf aufgrund politischer Umstände kann die beiden nicht auseinanderbringen. Der Weg in die Stadt wird für Zhao Di zum Symbol ihrer Liebe, weil sie an diesem Weg Changyus erzwungene Abreise und seine Wiederkehr erlebte. Nach seinem Tod 40 Jahre später fordert sie deshalb, dass sein Sarg einem alten Brauch entsprechend diesen Weg bis zum Grab getragen wird.

Interessant ist vor allem das, was fehlt. Wir erfahren nichts über die Mitbewohner im Dorf, keine farbigen Milieuschilderungen für das europäische Publikum, nichts über den Alltag in 40 Jahren Ehe, kein einziger Kuss, kein Gespräch zwischen den Liebenden, nichts über die politischen Hintergründe der Verbannung.

Auch Konflikte existieren nicht. Geben tut es nur zwei Dinge: die Klarheit und Bedingungslosigkeit von Zhaos Liebe und die Tradition – Bekochungs- und Beerdigungsrituale. Vor beidem versinkt der Film in Ehrfurcht, und dem abgebrühten, feministisch gebildeten Wessi bleibt nichts anderes, als dies staunend und vielleicht auch gerührt zur Kenntnis zu nehmen. bk

„Heimweg“ im Cinema, 21h