Das romantische Auslaufmodell

■ Der Wahlberliner Nikki Sudden singt heute im Tower seine Liebeslieder

Es wird Zeit, dass Nikki Sudden endlich reich und berühmt wird. 28 Jahre nach dem Kauf seiner ersten Gitarre, 26 Jahre nach der Gründung der ebenso erfolglosen wie legendären Swell Maps, nach ungefähr 20 LPs, einer Handvoll Singles, ungezählten Konzerten, vielfachen Erdumrundungen, einigen Dutzend in Lieder verarbeiteten Liebschaften und einer unbestimmten Anzahl durchgetragener Rüschenhemden wird es wirklich Zeit. Weil er es einfach verdient hat nach all den Jahren. Und weil er nicht ewig in Kreuzberg mit seinem Namen an einem Klingelschild an der Straße leben will, sondern irgendwann einmal in einem Schloss.

Um diesen Traum finanzieren zu können, müsste sich das gerade erschienene Best-of-Album „The Last Bandit“ allerdings wesentlich besser verkaufen, als das zu erwarten ist. Denn all die langen Jahre haben ihn zwar die Kritiker geliebt, aber das Publikum größtenteils ignoriert. Seine Fangemeinde ist zwar außerordentlich treu, aber auch überschaubar.

Zum Interview erscheint Sudden in vollem Ornat: Mit Samtjacke im Paisleymuster, behängt mit Tüchern, Ringe an den Fingern, die Haare wirr aber nicht zufällig vom Kopf abstehend sieht er aus wie der kleine Bruder von Keith Richards. „Was ich am Älterwerden nicht mag“, sagt Sudden, „ist, dass man schlechter aussieht.“ Dann erzählt er begeistert davon, was für eine großartige Stadt zum Leben Rothenburg ob der Tauber wäre, gäbe es nur keine Touristen dort. Seit dreieinhalb Jahren ist allerdings Berlin seine Homebase und auch wenn er die Hauptstadt vergleichsweise gut leiden kann, gibt es wohl kaum einen Menschen, der so sympathisch deplatziert wirken könnte wie Sudden inmitten der neuen Mitte und ihres neuen Geldes. Während andere im After-Work-Club ihre Überstunden feiern, glaubt er weiter tapfer an den Rock'n'Roll.

„Wenn ich immer wieder ein Konzert spielen kann, das mein bestes ist, dann bin ich noch am Leben.“ Wie das gehen könnte, hat er seiner Lieblingsband abgeguckt. 36 mal hat er die Rolling Stones nun live gesehen und ist der Meinung, dass sie immer noch besser werden. Dass er selbst ein Auslaufmodell sein könnte, hat Sudden in den letzten Jahrzehnten zwar registriert, aber erfolgreich verdrängt.

Selbst der Verlust seines Bruders Epic Soundtracks, mit dem er dereinst die Swell Maps gegründet hatte, hat ihn nicht dazu gebracht, seinen Lebensentwurf grundsätzlich neu zu überdenken. Nicht ganz drei Jahre nach dem bis heute ungeklärten Tod glaubt er weiter an den Rock'n'Roll-Lifestyle und dass der Erfolg ihn doch noch eines Tages heimsuchen könnte. „Was ich mache, ist doch viel besser als arbeiten.“ Aber Sudden ist Realist genug, nicht mehr fest mit dem einen Hit zu rechnen, der ihm ein Auskommen bis ans Ende seiner Tage bescheren würde.

Der „Spiegel“ hat unlängst seinen bürgerlichen Namen verraten. Das fand Nikki Sudden gar nicht komisch. Ein bisschen Geheimnis muss sein. Ein bisschen Geheimnis ist romantisch und – zugegeben – sein spießiger englischer Geburtsname will gar nicht zu dem Romantiker Sudden passen. Stets ist die Liebe Thema seiner Songs. „Man findet neue Lieben auf der ganzen Welt“, sagt er. Darüber schreibt er euphorische Songs, die immer ein wenig sentimental sind. Aber eine Liebe kann auch zu Ende gehen. Darüber schreibt er dann melancholische Songs, die niemals richtig traurig werden.

„Meine Songs sind meine Rente“, sagt Nikki Sudden. Und tatsächlich wurden einige seiner Kompositionen in den letzten Jahren von Bands wie Lemonheads oder Mercury Rev gecovert. So kommen noch ein paar zusätzliche Tantiemen in die Kasse. Allzu viel ist es noch nicht, aber er braucht nicht viel zum Leben, sagt er. Die Sache mit der Traumwohnung aber ist trotzdem noch lange nicht zu den Akten gelegt.

Thomas Winkler

Konzert heute, Donnerstag, 20 Uhr im Tower, Herdentorsteinweg 7a