der popliterat von JÜRGEN ROTH
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Wir ignorieren geschlechtsspezifische Differenzierungen und müssen uns den Popliteraten als einen bewegten und zugleich einen beweglichen, als einen ennuyierten und zugleich eleganten Menschen vorstellen. Der Popliterat verbringt nicht mehr Stunden, Tage, Wochen am Schreibtisch, wühlt sich in Gedanken- und Buchstabenmassen hinein und sucht eine Form zu wählen für das, was er schildern möchte; nein, der Popliterat unterhält ein entschieden relaxtes Verhältnis zu Thema und Stil, Planung und Realisierung seines zuverlässig „Roman“ apostrophierten Textes. Der Popliterat haut ihn so raus und hin, den Roman; obschon er keiner ist, selten eine Novelle, meist ein autobiografisch gefärbtes Konvolut unsortierter Einfälle und kulturbetrieblicher Impressionen.

Solche Defizite und altmodischen Scherereien scheren den Popliteraten einen feuchten Kehricht, denn der Verlag des Popliteraten weiß, dass Romane „gehen“, nennt man sie bloß Romane. Eine – und allerdings vornehme – Bedingung, als Popliterat und Romancier zu reüssieren und erhebliche Teile des mickrigen Honorarkuchens abzusahnen, ist ein Höchstalter um 16 oder 25 Jahre. Dann läuft das, zumal ein engagiertes Kölner Buchhaus den Popliteraten, sofern er eine Computermaus von einer echten „Maus“ zu unterscheiden vermag, wegdruckt, bis die schmale Schwarte kracht.

Doppelnamen machen sich zusätzlich gut, beispielsweise Bernhard von Steinhausen-Gütloff oder Gusilde Hein von Kurz und Knapp. Die tragen gewiss tausende Aufstreber, die es eher lyrisch und tagebuchartig probieren, ebenso sehr, aber der wilde Wille zum Erstling fehlt ihnen. Man heißt den ersten Schritt in Umkehrung vergammelter kultureller Standards heute den einfachsten on the short way to bestseller. „Das Erstlingswerk unterzubringen, ist für Autoren zur Zeit einfach (man muss nur jung genug sein). Erst der zweite Band trennt die Wunderkinder von den echten Autoren“, bewirbt ein stramm alternativer Versandladen die Popliteratin aus den eigenen Reihen. Mozart war ein Flegel, „ein nettes Arschloch“ als Protagonist, so das bemerkenswerte Merkheft, und siehe, der Popliterat animiert selbst den popeligen Kaufmann zu jener Prosa, die Presse und Buchtempel ungelesen überschwemmt. „Ein superschnelles Popstück, drastisch, wild und hemmungslos direkt“, becircten die Nürnberger Nachrichten das Popprodukt „Relax“, und der Verlagsknecht poetisierte zwecks Anpreisung des Sequels „Ich bin’s“: „Dann zieht noch schräg gegenüber Lilly ein, die Lars mit den billigsten Tricks auf das Würstchen rückt.“ Lars und Lilly, L & L, locker und lässig. Langen die Kleinbürgerpipifaxen um Prahlen und Pömpern nicht, reicht eine kernige Abiturientenvisage, die man für Peek-&-Cloppenburg-Plakate zur Verfügung stellt. „Auf Photos sehe ich immer scheiße aus“, gesteht ein deutscher Paradepopliterat und rockt dennoch weiter auf dem Nimbus, sein kleinquadrierter Quark sei „authentisch“ und darob flott, frech, akkurat gescheitelt, wie’s der Zuschnitt der jüngsten Modermode verlangt. Und das freut uns arg.