in fußballland
: CHRISTOPH BIERMANN in der Welt des Schmerzes

Dreckiges Blut im Knie

An einem Freitagnachmittag vor ungefähr 25 Jahren trat ich beim Kicken mit meinem rechten Fuß in ein Loch auf dem von uns „Hippenwiese“ genannten Fußballplatz und verdrehte mir das Knie. Obwohl es höllisch weh tat, spielte ich selbstverständlich bis zum Ende weiter. Danach setzte ich mich, nur eben kurz geduscht, mit meinem Bruder und meinem Vater in den Wagen, um zu einem Bundesligaspiel nach Dortmund zu fahren, wobei wir aber Teil eines umfänglichen Staus wurden, erst zur Halbzeitpause dort ankamen, als die Kassen schon längst geschlossen waren, und nicht mehr eingelassen wurden. Mein Knie war unterwegs so dick angeschwollen, dass ich es kaum noch wiedererkannte, und am nächsten Morgen wurden mir im Krankenhaus drei dicke Spritzen dreckigen Bluts daraus abgezapft, was mir aber wenig ausmachte, denn es sah wirklich reichlich verbraucht aus.

Dieses erste Erlebnis in der Wunderwelt der Fußballverletzungen fand zu einer Zeit statt, in der ich noch stolz auf blutende Wunden und Löcher im Kopf war. Berufskicker brachen sich damals bestenfalls die Beine; es gab Pressschläge zwischen Vorstoppern und Mittelstürmern zu hören, die wie Testexplosionen neuer Sprengstoffmischungen knallten. Wer keine Schienbeinschoner trug, brach sich halt das Schienbein und manchmal noch das Wadenbein dazu. Das war roh, aber übersichtlich.

Seitdem ist die Zeit vorangeschritten, und die Sportmedizin hat ständig neue Teile im Körper der Fußballspieler gefunden, die beschädigt werden können. Zuerst war es der Meniskus, von dem man zur Freude der Chirurgen problemlos Stücke abschneiden konnte, um die Funktion des Knies wiederherzustellen. Muskeln hatten die Spieler zwar schon lange, vielleicht auch Zerrungen, aber erst später konnte ein Muskelfaserriss diagnostiziert werden und erst lange Zeit danach sein großer Bruder, der Muskelbündelriss.

Wenn die Geschichte der Menstruation eine Geschichte voller Missverständnisse ist, wie uns die Werbung weismachen will, ist die der Fußballverletzung eine ihrer rückhaltlosen Aufklärung. Leistenbrüche hatte es schon immer gegeben, aber erst in den 80er-Jahren wurde die Leiste weich. Ob sie danach nicht mehr brach, weiß ich nicht. In den 90er-Jahren entdeckten die Mediziner bei den Kickern die Patella-Sehne, welche danach oft gereizt war. Wenn es ganz schlimm kam, wuchs sich die Sache gar zu einem Patellaspitzensyndrom aus. Zugleich laborierten viele Spieler trotz der Entmilitarisierung des Fußballs an einer Schultereckgelenks-Sprengung, der Lieblingsverletzung meines Freundes Uli, der dabei immer von Pioniertrupps der Bundeswehr fantasiert. Als letzter Neuzugang galt lange das Syndemose-Band, das man sich sowohl reißen als auch zerren kann.

Wie aus heiterem Himmel tauchte jedoch plötzlich der Ermüdungsbruch auf, den man sich besonders gern im Mittelfuß zuzieht. Womit wir beim SC Freiburg wären, diesem notorisch „anderen“ Fußballklub. Dort ist man schon längst weiter und beäugt nachdenklich die Stressreaktion im Mittelfuß, die dem Ermüdungsbruch vorausgeht. Verteidiger Kondé laboriert daran, außerdem kehrte gerade eine Expedition in den Körper des Georgiers Zkitischvili mit der Diagnose zurück, dieser hätte eine Absplitterung am Volkmannschen Dreieck. Wo immer das sein mag.

Blutergüsse im Knie gibt es selbstverständlich auch noch, und ich fand es damals eigentlich ziemlich prima, mir mit männlicher Schmerzverachtung dreckiges Blut abzapfen zu lassen. Außerdem genoss ich den Zustand, als Kranker zur Bettruhe verdonnert zu sein, wobei das vor allem einen exquisiten Service meiner Mutter bedeutete, ich zugleich aber nicht wirklich krank war, was Schlappheit und Verletzlichkeit bedeutet hätte, sondern Verletzter einer Fußballschlacht.

Schade, dass davon keine Narbe geblieben ist, denn die Überreste schwarzer Asche im anderen Knie schaue ich mir noch heute mit einer gewissen Rührung an. Nur die Bezeichnungen für all das sind heute viel schicker.

Fotohinweis:Christoph Biermann, 39, liebt Fußball und schreibt darüber