Friesisches Hitzeflimmern

Jeder in Holland mag den SC Heerenveen. In der Champions League gelten die Friesen als Sparringspartner. Bis Dienstag: Da gelang gegen Piräus ein 1:0 – trotz eines halbgaren Hähnchens

aus Heerenveen EGON BOESTEN

In Lyon wurden sie förmlich niedergewalzt; gegen Valencia hatten sie zu Hause keine Chance, in Piräus verloren sie auch. Doch Dienstagnacht konnte man in Heerenveen das tun, was man im Land der Friesen am besten kann: man feierte. Der SC Heerenveen, als Punktelieferant und Sparringspartner in der Champions League ausgemacht, gewann im völlig überfüllten Abe Lenstra Stadion 1:0 gegen Olympiakos Piräus. Der SC Heerenveen – ein modernes Fußballmärchen aus dem niederländischen Friesland: „Das Wunder ist geschehen“, schrieb De Telegraaf gestern euphorisch. „Der kleine Club vom platten Land“ hatte das „hitzeflimmernde Fußballgefecht“ tatsächlich gewonnen.

Zu Besuch in Heerenveen an einem ruhigeren Tag. „Nein“, sagt Meneer Beker, „in unser Museum können wir jetzt noch nicht, dann gehen wir erst einmal nach oben.“ Das Programmheft wird dort gerade von älteren freiwilligen Helfern zusammengeheftet. Museumsführer Beker zeigt dem deutschen Besucher das friesische Schmuckkästchen. So wird das 13.500-Zuschauer-Stadion des Sport-Clubs Heerenveen überall in den Niederlanden genannt – und das, obwohl in Amsterdam, Arnheim und anderswo ebenfalls neue, topmoderne Stadien entstanden sind.

Große Namen gibt es beim Vizemeister des Landes nicht: Bekannte Leute hat Foppe de Haan, seit immerhin 16 Jahren verantwortlicher Trainer, noch nie in die 35.000-Einwohner-Stadt, knapp 25 Kilometer östlich vom Ijsselmeer, geholt. Foppe, den der Verband vergeblich zum Bondscoach ernennen wollte, hat stets unbekannte Fußballer bekannt gemacht. Das begann mit dem Dänen Jon Dahl Tomasson, der in Heerenveen zum besten Nachwuchsfußballer der niederländischen Ehrendivision heranwuchs (und dann zu Newcastle, später zu Feyenoord wechselte), und fand schließlich mit dem vor drei Jahren noch unbekannten Ruud van Nistelrooy seine Fortsetzung. Nach zwei Jahren war van Nistelrooy Torjäger Nummer 1 geworden. Den nächsten Shootingstar sollte man sich vorsorglich merken: Angreifer Anthony Lurling.

Der SC Heerenveen ist den Fans in Holland der zweitliebste Verein: erst kommt der eigene Klub, dann Heerenveen. Beliebteste Fans, beliebtester Trainer – die Friesen sind bei allen Umfragen immer oben dabei. „Ganz Holland liebt Heerenveen“, titelte schon vor Jahresfrist Voetbal International. Und Wim Duisenberg, Präsident der Europäischen Zentralbank, muss niemandem mehr erklären, wo seine Heimatstadt liegt, seit sein Club im europäischen Fußball debütiert.

In den vergangenen Jahren hat Heerenveen allen Abgängen zum Trotz immer wieder mit einer Mannschaft aufwarten können, die noch einen Tick besser war als die vorige. Dabei gibt es keine Reichtümer zu verdienen. 500.000 Gulden (450.000 Mark) im Jahr – das ist die Obergrenze, auch in Holland kein Spitzenlohn. Nur Hans Vonk, südafrikanischer Nationaltorwart, verdient etwas mehr.

Wer mit Gehaltsforderungen den Rahmen sprengt, darf gehen. Im Hintergrund warten die nächsten Kandidaten, unbekannte Namen, die vom Club auf ausgeklügelte Manier gescoutet und ausgebildet worden sind. Von Überheblichkeit keine Spur in Heerenveen. Riemer van der Velde (59), als Vorsitzender ebenso lange im Amt wie Trainer de Haan, sagt: „Wenn es eben geht, europäischer Fußball; aber die Champions League ist kein Muss für uns.“ Aber: „Wir sind schon seit 17 Jahren dabei und steigen weiter nach oben.“ Mit einem Etat von einer Million Gulden fing es mal an; inzwischen liegt der bei etwa 35 Millionen.

Jeder Fußballfan in Friesland kennt Abe Lenstra. Hollands Fußballer des Jahrhunderts wird verehrt wie ein Heiliger. Es geschah im Mai 1950. 1:5 lagen die Friesen zur Pause gegen das große Ajax Amsterdam mit dem Spieler Rinus Michels zurück. Nach 90 Minuten hatte Heerenveen mit dem späteren Nationalspieler Abe Lenstra 6:5 gewonnen – eine Legende war geboren. Abe Lenstra nennen sie in Friesland nur „Us Abe“, unseren Abe, weil er den Verlockungen des italienischen Geldes widerstand und in Friesland blieb.

Wim Molenaar, der das Spiel gegen Ajax vor 50 Jahren mitgemacht hat, freut sich heute noch diebisch. Der freiwillige Helfer am Ticketschalter erinnert sich: „In der Pause schauten uns die Ajax-Spieler beim Stand von 1:5 nach dem Motto an: Eigentlich hätten sie geglaubt, dass wir wenigstens ein bisschen Fußball spielen könnten. Tja, das haben wir denen damals gezeigt – und heute spielen wir in der Champions League und Ajax nicht.“ Als Ajax vor kurzem in Heerenveen zu einem 2:2 kam, hat man sich allerorten gewundert: dass Heerenveen nicht gewonnen hat.

Nicht nur die Zuschauer stehen Schlange für Saisonkarten, auch die Wirtschaft. Der Business-Club des SC Heerenveen zählt mehr als 650 Mitglieder und ist damit der größte des Landes. „Aber“, sagt Clubdirektror Tjisse Wallendal, „es gibt noch 450 Betriebe, die dem Club noch nicht verbunden sind, dies aber wollen.“ Das Prinzip Heerenveen: Der Club ist längst Mittelpunkt und Treffpunkt für die wirtschaftlichen Eliten in Hollands Norden.

Dass es gegen Piräus mit seinen internationalen Stars Zé Elias, Zetterberg und Giovanni zum ersten Sieg reichte, war indes einer Spontangesundung geschuldet. Torschütze Daniel Jensen (83.) war, so schrieben die Zeitungen gestern, „am Wochenende noch zusammen mit seiner Freundin so krank geworden“. Grund: „Ein nicht richtig durchgebratenes Hähnchenfilet.“