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pampuchs tagebuchWas die Treiber so alles treiben

Hart und entbehrungsreich ist es, mit der Welt Schritt zu halten. Und undankbar, darüber auch noch öffentlich Protokoll führen zu sollen. Denn groß sind die eigenen Ansprüche, die Erwartungen der Leserschaft, die Forderungen des gestrengen Redakteurs. Was macht das Netz? Was macht es mit uns? Und: Wie spiegelt es den Zustand unserer Welt?

„Wie ein Joghurt in der Kurve“, hieß es neulich in irgendeinem Zusammenhang. Ein zutreffendes Bild für viele Gelegenheiten. Besser könnte ich das Gefühl nicht beschreiben, das mich heute nach zwei Stunden Surfen ergriffen hat. Hart am jugendlichen Zeitgeist segelnd, wollte ich mir jenes Programm laden, das seit geraumer Zeit unsere Heranwachsenden umtreibt. Napster heißt es, und auf meiner jüngsten Amerikareise hat es mir ein freundlicher Austauschschüler auf mein Kistchen kopiert mit allerlei Segenswünschen und dem Versprechen, mit dem „napv2b7“ könnte ich mich nun in PCs überall in der Welt einklinken und nicht nur heiße Musik kostenlos hören, sondern auch mit den jeweiligen PC-Besitzern sofort in Kontakt treten. Klang gut, und in den USA hat es auch gut geklappt.

Zu Hause wollte das Programm auf meinem Laptop aber partout nicht anspringen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es irgendwas mit meiner neuen ISDN-Verbindung zu tun hat. Das hat mir auch mein gegenwärtiger Leihsohn E. bestätigt, der nicht nur eine Koryphäe in allen HipHoptionalien ist, sondern auch über relativ umfangreiche Computerkenntnisse verfügt. Die hätten ihn, so erzählte er stolz, immerhin befähigt, die Festplatte seines leiblichen Vaters (samt CD-ROM-Laufwerk) mit irgendwelchen Ladevorgängen für irgendwelche Spiele zehn Stunden außer Betrieb und dann – mit neuen Treibern – wieder in Betrieb zu setzen.

E. ist sich jedenfalls sicher, dass ich für Napster irgendwas mit meinen Treibern machen sollte. Ich habe aus nahe liegenden Gründen zunächst auf seine technische Hilfe dennoch verzichtet, mir aber von ihm ein paar einschlägige HipHop-Adressen geben lassen. Man will ja doch wissen, was unser Jugend so im Netz treibt, wenn die Treiber gehen.

Schon bei der ersten Page, www.chaostic.com – „the number1 underground site“ – tauchte ich ein in diese Welt, die auch den letzten Joghurt zum Swingen bringt. Nicht nur, dass man sich dabei auf jeder Seite durch einen Wust von Porno-Angeboten wühlen muss, auch die wirklich echt klingenden Underground-Seiten mit so viel versprechenden Menü-Überschriften wie „School Sux“, „Live Toilet Cam“, „Crack/Serial“, „Mail b0mbs“ und „Anarchy“ wollen durchkämpft sein.

Ich las mich also durch zig Schulstreiche, entging knapp dem Vergnügen, auf 50 Toiletten der Welt live dabei zu sein, lernte nach mühsamen Downloads einiges über elektronisches (Mail)-Bombenbasteln wie auch – im „anarchist cookbook“ – über Mollis mit echter Chemie. Zum moralischen Ausgleich guckte ich mir die 26.986 „school essays“ an, präfabrizierte Schulaufsätze zum Abschreiben, die von „Aristotle on art“ bis zur „Geschichte des weiblichen Basketballs“ reichen. Ermattet wilderte ich dann noch in den Gefilden Kreditkartenbetrug, Mogeln beim Spiel sowie Knacken von Geldautomaten.

Die deutsche Seite www.waschlotion.de, die ich dann aus hygienischen Gründen anklickte, stellte mir zunächst ausführlich das alte DDR-Moped, die Simson-Schwalbe, vor. Dazu gab es eine Auswahl von verzwickten Graffiti zu sehen sowie ein paar schöne Fotos und ein paar ferkelige, animierte Filmchen, von denen mir ein 30-Sekunden-Kung-Fu-Porno im Gedächtnis geblieben ist. Meine Treiber können's also noch treiben. Ich glaube, dass ich mit dem für Napster aber noch etwas warten werde. Auch ein Joghurt braucht mal Pause.

THOMAS PAMPUCH

thopampuch@aol.com

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