Ausgrenzung im Bayernzelt

■ Am „Tag der Behinderten“ feiern die Schausteller ihr vermeintliches Gutmenschentum

„Und jetzt streckt die Hände in die Höhe – uuuuuund mitsingen: Da kommt der Anton aus Tirol ...“ Voller Leidenschaft führt Thomas Pierucki durchs Programm im gut gefüllten Bayernzelt. Bei den Anwesenden handelt es sich allerdings nicht etwa um die Mitglieder des Alpenvereins oder eine norddeutsche Exiltrachtengruppe. Thomas Pierucki ist beim Arbeiter-Samariter-Bund beschäftigt und er moderiert den 52. Behindertentag auf dem Bremer Freimarkt. Er tut das für die anwesenden Schausteller, denn die haben, laut Pressemitteilung, „das Herz auf dem rechten Fleck“.

600 Bummelpässe ist den Schaustellern ihr Gutmenschentum wert. Die Behindertengruppen können, soweit das geht, vier Karussels fahren, eine Bratwurst und ein Eis essen. Außerdem gibt's für jeden Behinderten und Betreuer einen Pappteller mit Krapfen und „Togowaffeln“, dazu eine Tüte Buntes. Geschätzter Wert: Rund drei Mark. Die Limo kommt von einer großzügigen Sprudelfirma, die gute Laune wie gesagt, vom ASB. Die meisten der etwa 500 Menschen im Bayernzelt sind geistig oder mehrfach behindert, ihre BetreuerInnen sitzen mit gemischten Gefühlen neben ihnen auf den Holzbänken.

„Klar, das macht ihnen Spaß, aber die Behinderten sind ja auch lange genug auf Albernheit und Blasmusik getrimmt worden,“ sagt ein Betreuer aus Lilienthal. Am Nebentisch zieht ein Kind seine Lehrerin an den Haaren. Für die Kleinen sei der Freimarkt ein Orientierungspunkt im Jahr und viele Eltern hätten einfach nicht die Nerven, mit ihrem behinderten Nachwuchs über den Freimarkt zu gehen, meint Petra Konrad von der Vegesacker Schule am Wasser. Aber: „Das ist natürlich total anstrengend. Wir müssen hier zwei Stunden sitzen, bevor wir unsere Bummelpässe kriegen.“

Müssen? „Es sind wohl immer weniger Leute ins Zelt gekommen und da haben sie den Modus geändert. Hier drin kann man eben die besten Pressefotos schießen“, vermutet sie. Im Gutmenschenjargon des Geschäftsführers der Märkte AG Carl-Hans Röhrßen klingt das so „Die Veranstaltung gibt ja auch uns Spendern was.“ Und auch beim ASB-Mann wird der Ton jetzt rauher: „Die Leute haben hier an der Veranstaltung teilzunehmen. Ein Tag der Freude beginnt mit Blasmusik und endet mit der Ausgabe der Bummelpässe.“

Und dazwischen findet etwas statt, was man mit gutem Willen als Kinderprogramm bezeichnen könnte, im Grunde aber von fürsorglicher Herablassung zeugt. Nette Sachen werden verlost. Die Frau am Nebentisch, offenbar weniger behindert als psychisch krank, hat eine richtige Losnummer. Auf der Bühne angekommen fragt Herr Pierucki die etwa 50-Jährige: „Kannst Du denn schon telefonieren?“ „Ja“, ist die schüchterne Antwort. „Dann kriegst du –ne Telefonkarte von Möbel-Meyerhoff.“ Auf dem Weg zu ihrem Platz ist die Frau den Tränen nah.

So sieht sie aus, die Schattenseite der Gesellschaft, auf der laut Pierucki die „Behinderten ja irgendwie auch stehen“. Stimmt. Jedenfalls solange man auch die Erwachsenen unter ihnen behandelt wie Kinder und ihnen vor lauter Gutmütigkeit nur einen Sonderplatz einzuräumen bereit ist. Oder wie es die Türsteherin vom ASB mit freudschen Versprecher treffend formulierte: Das ist hier eine geschlossene Anstalt.

Elke Heyduck