Neonazis? Zschokke!

■ Ein Buch erinnert an den vergessenen deutschen Volkserzähler Heinrich Zschokke

Angesichts des immer bedrohlicher werdenden Rechtsextremismus gerät Deutschlands geistige Elite mehr und mehr in Verlegenheit. Wer noch vor Jahren geglaubt hatte, es reiche aus, den Jugendlichen so moralische Schullektüren wie „Nathan der Weise“ und „An-dorra“ vor die Nase zu halten, sieht sich heute getäuscht. Bedarf es also in den Schulen anderer Literatur?

Wie wär's zum Beispiel mit „Heinrich Zschokke“? Der Bremer Literaturwissenschaftler Holger Böning hat Erzählungen des Mannes mit dem lustigen Namen gesammelt. Sein Buch „... weiß wie der Teufel! Erzählungen von Heinrich Zschokke“ ist versehen mit der ausdrücklichen Bitte, das Werk für den Schulunterricht zu gebrauchen.

Heinrich Zschokke lebte im 18. und 19. Jahrhundert. Mit seinen volksnahen Erzählungen erreichte er atemberaubende Auflagenzahlen und stahl damit sogar Goethe die Schau. Heute kennt ihn fast niemand mehr. Und das ist auch gut so – denkt man zumindest nach dem Lesen der Tschokke-Satire „Der König von Akim“. Da muss sich ein dänischer Buchhalter in Afrika einem Eingeborenenstamm präsentieren. Nackt. Die „schwarzen Leute“ wollen nämlich nicht glauben, dass es sich bei dem bleichen, bunt bekleideten Eindringling um einen Menschen handelt: „Denn schon wie Herr Kamp hereingetreten war (...), war vom Könige der Zopf an der Perücke wahrgenommen worden. Er schloss daraus sogleich, das Geschöpf müsse einer unbekannten Gattung langgeschwänzter Affen angehören.“ Auf diese Weise zieht Zschokke nun Vorurteile und Kolonialbewusstsein durch den Kakao. Ein ehrenvolles Anliegen. Doch hält sich der Spaß für heutiges Publikum in Grenzen: Die Pointen sind vorhersehbar, die Erzählweise recht naiv.

Erstaunlich ist jedoch, dass dem „Schriftsteller fürs Volk“ die in europäischen Breitengraden spielenden Erzählungen so viel besser gelungen sind. Man könnte beinahe glauben, hier schreibe ein anderer Autor, wenn Zschokke in „Der tote Gast“ das Schicksal eines Fremden erzählt, der von den Dorfeinwohnern für einen Dämon gehalten wird. Von Beginn an ist der Leser über den Grund des Spuks unterrichtet. Er weiß, dass es sich hierbei schlicht um ein von alten Geistergeschichten hervorgerufenes Miss-verständnis handelt. Und doch bleibt eine kleine Ungewissheit, die für große Spannung sorgt. Lovestory, Spuk, Mord und Totschlag: Alles ist drin – und obendrein wird man politisch korrekt belehrt. Merke: Vorurteile bleiben, auch wenn sie im ganzen Dorf verbreitet sind, eben nur Vorurteile.

Zschokkes Synthese aus Verständlichkeit für das einfache Volk und hohem erzähltechnischen Anspruch fasziniert. Und der stets erhobene Zeigefinger des Autors ist äußerst amüsant. Zschokke ist also empfehlenswert, allerdings nur für Liebhaber von Volksmärchen und Fabeln. Die große Wirkung von damals werden die stark moralisierenden Geschichten heutzutage nicht mehr entfalten können.

Übrigens: Über seine heute weitaus berühmteren Zeitgenossen „Goethe, Schlegel u.s.w.“ hatte Zschokke keine allzu gute Meinung: „Ich kann das Gezierte, Manierierte, Lakirte nicht ausstehen. Warum soll ich mich denn durch den Geschmack anderer Leute sterbenskrank langweilen?“

Johannes Bruggaier

„... weiß wie der Teufel!“, edition lumière, 293 Seiten, 38,50 Mark