Bei Knackis keine Kürzungen

Die katastrophale Situation in den Gefängnissen zwingt zum Handeln: Senat will die freien Träger im Strafvollzug vonden Einsparungen ausnehmen. Grüne hoffen, dass dies kein Einzelfall bleibt: „Die sozialen Projekte sind unverzichtbar“

von CORINNA BUDRAS

Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) will den freien Trägern im Strafvollzug den Rücken stärken. In der gestrigen Sitzung des Rechtsausschusses erklärte Diepgen, der auch Justizsenator ist, dass der Senat für diese Träger eine Sonderregelung ins Auge fasse: Die obligatorische Kürzung von fünf Prozent, die alle vom Senat bezuschussten Projekte in diesem und im kommenden Jahr über sich ergehen lassen müssen, wird auf die freien Träger im Strafvollzug nicht angewandt. Diepgen begründete diese Maßnahme mit der anhaltenden schwierigen Situation in den hiesigen Gefängnissen.

Die Grünen hoffen nun, dass die Ankündigung Diepgens „der Beginn des Rückzug des Senats“ in Sachen Kürzungen bei den freien Trägern ganz generell ist. „Endlich hat der Senat begriffen, dass die vielen Jugend-, Sozial- und sonstigen Projekte der freien Träger für die soziale Infrastruktur der Stadt unverzichtbar ist“, sagte der grüne Rechtsexperte Bernhard Weinschütz.

Dass die Situation in den Knästen brenzlig ist, hat sich inzwischen in allen Fraktionen herumgesprochen. Schuld daran ist vor allem die katastrophale Überbelegung. Bestes Beispiel dafür: Die Justizvollzugsanstalt Tegel ist für 1.250 Gefangene konzipiert. Derzeit sitzen hier aber 2.000 Insassen ein. Die Folge: Eine angemessene Betreuung findet kaum mehr statt. Zudem finden immer weniger Gefangene einen Job. Die Arbeitslosigkeit unter den Gefängnisinsassen hat sich von 8 Prozent im Jahr 1992 auf derzeit 33 Prozent erhöht.

Das führte bereits im September dazu, dass 179 Knackis vorzeitig in die Freiheit entlassen wurden. Bei diesem Verzweiflungsakt handelte es sich allerdings nur um solche Gefangenen, die ursprünglich zu einer Geldstrafe verurteilt wurden und nur mangels Zahlungsfähigkeit in den Bau wanderten. Einen Lang anhaltenden Effekt hat diese Massenentlassung jedoch nicht: Die entstandene Lücke wurde durch Neuankömmlinge bereits wieder fast vollständig ausgefüllt.

Nach Ansicht des grünen Innenpolitikers Wolfgang Wieland haben zu Geldstrafen Verurteilte sowieso nichts in Haftanstalten zu suchen. Sein Konzept gegen die Massenbelegung der hiesigen Gefängnisse: die Stärkung der Freien Träger. Mit Arbeitsprojekten wie „Schwitzen statt Sitzen“ sollen Geldstrafler von den kostenträchtigen Haftplätzen fern gehalten werden. Zudem sind es zumeist die freien Träger wie die Freie Hilfe, die mit Resozialisierungsprojekten Straffällige von weiteren Straftaten abhalten.

Diepgens Maßnahme ist für Wera Barth, Geschäftsführerin der Freien Hilfe, allerdings „nur ein Tropfen auf dem heißen Stein“. Das Versprechen, ihren Etat nicht zu kürzen, stopft nämlich keineswegs das Loch, das im Haushalt des Vereins klafft. Die Überbelegung in den Gefängnissen führe zu einem größeren Bedarf an Personal, den die Freie Hilfe mit den vorhandenen Mitteln nicht finanzieren kann.

Bittere Konsequenz dieses Geldmangels könnte sein, dass der Verein ein Projekt in Zukunft einstellen muss: die Finanzierung einer Sozialarbeiterstelle in der JVA Tegel und in Moabit ist alles andere als gesichert. Alternativ ist die Betreuung der vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter in Gefahr.

Diepgen aber setzt vor allem auf eins: Statt die Anzahl der Knackis zu reduzieren, will er mehr Raum für die Häftlinge schaffen. „Der Strafanspruch des Staates darf nicht in Gefahr geraten“, sagte Diepgen im Ausschuss plakativ. Er drängt deshalb drauf, die geplanten Haftanstalten für den geschlossenen Vollzug in Großbeeren und für den offenen Vollzug in Spandau schnell zu bauen.