Merz sogar der CDU zu tabulos

Zuerst war es nur eine Randbemerkung von Friedrich Merz: Nun hat sich aus seiner Äußerung zur Ausländerpolitik ein Streit entwickelt, der ins Zentrum der Union trifft

BERLIN taz ■ So kann man das Unglück des Friedrich Merz mit seinen Äußerungen zur Einwanderungspolitik natürlich auch sehen: „Geschickt hat Rot-Grün eine Falle aufgestellt“, schreibt die Welt, „und die CDU tappt hinein.“ Rot-Grün habe die Einwanderungspolitik zum Tabu erklärt. „So steht jeder unter dem Verdacht des Rechtspopulismus, der darüber diskutieren will.“ Wie zu Helmut Kohls besten Zeiten erscheint die Union als Opfer einer rot-grünen Verschwörung.

Wenn es nur so einfach wäre. Tatsächlich hat niemand dem CDU-Fraktionschef eine Falle gestellt, sondern er sich selbst ein Bein. Seit er in der vergangenen Woche Ausländerpolitik als Wahlkampfthema nicht ausschloss, streitet die Union, welche Rolle das Thema bei den kommenden Wahlkämpfen spielen soll. Jetzt bemüht sich Merz, die Kontrolle über eine Lawine zurückzuerlangen, die er selbst lostrat: Er habe nur darauf hingewiesen, dass nicht die Regierung die Wahlkampfagenda bestimmen könne. „Das Thema Ausländerpolitik ist dabei nur ein Beispiel gewesen.“ Mit seiner sachlichen Richtigstellung hat Merz durchaus Recht – trotzdem zeigt die erhitzte Diskussion in der CDU, wie wenig er die Stimmung in seiner eigenen Partei einschätzen kann. Die Skeptiker eines Ausländerwahlkampfs werden immer zahlreicher – und immer zentraler für das Machtgefüge der CDU: Nach Geißler, Süssmuth und Rühe stellten sich auch Fraktionsvize Wolfgang Bosbach, der Saar-Ministerpräsident Peter Müller, der die Parteikommission zum Thema leitet, und gestern schließlich auch Jürgen Rüttgers, Wolfgang Schäuble und die JU-Vorsitzende Hildegard Müller gegen das Ansinnen. Selten hat ein CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender sich außerdem einer so breiten Front der Ablehnung in der Gesellschaft gegenübergesehen, die von den Wirtschaftsverbänden bis zum Zentralrat der Juden reicht.

Stellt sich die Frage, ob Merz in seiner Position gefährdet ist. Am kommenden Dienstag will er seine Kritiker in der Fraktion konfrontieren. Womöglich wird die Begegnung friedlicher verlaufen als man annehmen könnte. Bis auf Fraktionsvize Volker Rühe, dem intern Profilierungsabsichten gegen Merz unterstellt werden, hielten sich bisher alle Genannten sorgfältig mit persönlicher Kritik am Fraktionschef zurück. Bestes Beispiel: Parteichefin Angela Merkel. Gewiss, jetzt über Wahlkampf zu reden sei nicht hilfreich, hatte sie erklärt, aber die Union dürfe sich in der Tat die Themen nicht von der Bundesregierung vorschreiben lassen. PATRIK SCHWARZ