Interventionen sind eine Glaubensfrage

Schon einmal holte die EZB Dollarreserven aus dem Tresor. Geholfen hat es nichts

von KATHARINA KOUFEN

Armer Euro! Oder armer Wim? Der Euro erlitt diese Woche einen erneuten Schwächeanfall und sank auf unter 0,84 US-Dollar – ein absoluter Tiefstand. Und Wim Duisenberg, dem Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), wird diesmal die Schuld in die Schuhe geschoben. Denn jedes Mal, wenn die Einheitswährung auf ein neues Tief fällt, muss ad hoc ein Sündenbock her. Mal war es Oskar Lafontaine, mal der Kosovo-Krieg, mal waren es die Weichwährungs-Italiener, mal die Euro-feindlichen Dänen.

Diesmal also Wim Duisenberg. Der hatte Anfang der Woche gesagt, die EZB werde nicht zugunsten des Euro intervenieren, wenn dieser aufgrund der Nahostkrise weiter sinken sollte. Er hat das nicht mal wörtlich so gesagt. Die Märkte haben es nur so interpretiert. Prompt also sank der Euro, und prompt warf ihm die Presse vor, er sei ein Tölpel. An den Finanzmärkten wurde gar über seinen Rücktritt spekuliert. Gestern jedoch stellten sich die Mitglieder des Europäischen Zentralbankrates in Paris einmütig hinter den Unglücksvogel. Duisenberg selbst sagte auf die Frage, ob er gute Arbeit leiste: „Die Antwort ist ja.“

Gewiss hat der umstrittene Niederländer den jüngsten Kursrutsch ausgelöst. Schließlich hat er den Kapitalanlegern signalisiert: Kauft ruhig weiterhin Dollar. Wir von der EZB jedenfalls werden nichts unternehmen, um den Euro zu stärken. Und diesem Signal sind dann wohl auch diejenigen Anleger gefolgt, die sonst eher Euro gekauft hätten – in der Hoffnung, die EZB werde intervenieren, also Euro vom Markt wegkaufen und damit dessen Kurs stützen.

Allerdings fällt der Euro bekanntlich nicht erst seit dem Duisenberg-Interview. Der Wirbel um den EZB-Chef hat in Wirklichkeit einen viel heikleren Grund als die paar zehntel Cent Euro-Wert weniger: Duisenberg hat eine Glaubensfrage angesprochen. Machen Interventionen überhaupt Sinn? Schon einmal, im September, holten die Frankfurter Währungshüter Dollarreserven aus dem Tresor und kauften dafür mehrere Milliarden Euro. Was hat es geholfen? Nichts. Auch als im Juni 1999 mit japanischen Yen dasselbe versucht wurde, sank der Euro kurz danach weiter.

„Die Zentralbank müsste viel konsequenter eingreifen“, meint daher Peter Bofinger, Wirtschaftsprofessor und Währungsexperte an der Uni Würzburg. „Der Grund für die Euro-Schwäche sind die Spekulanten. Sie kaufen Dollar, weil sie hoffen, dass der Dollar immer noch weiter steigt. Und das tut er dann ja auch tatsächlich, weil alle Welt Dollar kauft. Diesen Kapitalhändlern muss die EZB ein für alle mal klar machen, wo die Grenzen sind.“ Kampf den Spekulanten also – auf dem Devisenmarkt.

„Bänker müssen schweigen“

So weit, so gut. Nur: Warum ist der Dollar so beliebt und der Euro nicht? „Die Märkte in der EU sind nicht flexibel genug“, würde etwa Industriechef Hans-Olaf Henkel antworten. Sprich: Tarifverträge, Umweltauflagen, hohe Sozialabgaben und hohe Steuern machen Investitionen teuer. Doch erstens „müsste der Euro dann viel stärker als der Yen sein, denn die Japaner haben erst recht solche Strukturprobleme“, hält Bofinger dagegen. Und zweitens waren die europäischen Märkte vor fünf Jahren noch viel weniger flexibel, und trotzdem war der Dollar fast eine Mark billiger als heute.

Längst macht sich nämlich bemerkbar, dass sich die Europäer mit der Einführung des Euro ein Staatsschrumpf- und Flexibilisierungsprogramm auferlegt haben, wie es sonst höchstens der Internationale Währungsfonds (IWF) den Entwicklungsländern vorschreibt. Die derzeit übliche Beschwörung von „mehr Eigenverantwortung“ – statt staatlicher Rentenbeiträge, Krankenkassen, Sozialversicherung – zeigt deutlich, wohin die Reise geht: Richtung USA. Was wollen Liberale wie Henkel dann eigentlich noch mehr?

„Was dem Euro fehlt, ist eine einheitliche europäische Wirtschaftspolitik“, antworten Euro-Skeptiker wie der Wirtschaftsprofessor Jörg Huffschmid von der Uni Bremen, fragt man sie nach dem Grund für die Beliebtheit des Dollar. In der Tat hat sich erst letzte Woche wieder gezeigt, dass die Europäer zwar eine gemeinsame Währung wollen, politisch aber jeder nur an sich – und an sein Wahlvolk – denkt. So stimmten in Luxemburg vierzehn EU-Finanzminister gegen den Vorschlag, US-Firmen, die per Internet verkaufen, das EU-Land ihrer Besteuerung freizustellen. Nur Luxemburg stimmte für den Vorschlag. Kein Wunder, denn dort ist die Mehrwertsteuer am niedrigsten, folglich hätten sich die meisten US-Firmen dort angemeldet.

Die mangelnde EU-Kompromissfähigkeit ist ein Manko für den Euro. Ein anderes ist der Verzicht auf nationale Geldpolitik. „Ungleiche Zustände müssen ungleich behandelt werden“, so Huffschmid. Das ist aber nicht der Fall. Obwohl Länder wie Deutschland nur mit Mühe ihre Konjunktur in Schwung gebracht haben, hat die EZB die Zinsen seit einem Jahr immer nur erhöht. Der Grund: Andere EU-Staaten haben Inflationsprobleme. Und die Stabilität des Geldes zu schützen, ist schließlich oberste Aufgabe der „Währungshüterin“. In den als Hort des Liberalismus geltenden USA ist das anderes: Dort zählt qua Gesetz auch die Vollbeschäftigung zu den Zielen der Zentralbank Fed.

Deren Chef Alan Greenspan gehört übrigens auch zu den Menschen, von denen gesagt wird, sie müssten nur einmal husten, und schon stürzten weltweit die Aktienkurse in den Keller. Huffschmid hält diese „Selbstritualisierung“ für völligen Quatsch: „Bänker müssen ständig schweigen und dann plötzlich zuschlagen – was ist denn das für ein Demokratieverständnis?“ Transparenter sollte die EZB werden. Und Duisenberg sollte schnellstens einen professionellen Marketingstrategen anheuern, rät Bofinger. „Auch T-Online hat es geschafft, eine fast wertlose Aktie zum Renner zu machen.“ Oh je. Wenn das mal bloß kein Spekulant liest – sonst purzelt er gleich wieder, der Euro.