Sprechende Medizin statt Vorschrift

Im Reisemedizinischen Zentrum des Bernhard-Nocht-Instituts werden TouristInnen vor der Reise gründlich beraten. Entscheiden müssen sie sich aber selbst  ■ Von Eberhard Spohd

Ebola in Uganda. Meningokocken in Äthiopien. Denguefieber in Honduras. Cholera in Mikronesien. Wer verreist, begibt sich in unglaubliche Gefahren. In allen Ländern dieser Welt lauern Viren, Bakterien und Amöben auf harmlose TouristInnen, die, im Gegensatz zur einheimischen Bevölkerung, noch nicht resistent gegen die Krankheitsüberträger sind. Hilft da nur ein ordentlicher Impfschutz? Nein, sagt Dr. Helmut Jäger vom Reisemedizinischen Zentrum des Bernhard-Nocht-Institutes für Tropenmedizin (BNI).

„Die wesentliche Gefahr geht von Krankheiten aus, die der Reisende von zu Hause mitgebracht hat“, sagt der Mediziner. Wer unter Diabetes leidet oder an Herz-Kreislaufschwäche, muss sich speziell auf die Reise vorbereiten. Das zweitgrößte Risiko sind Unfälle aller Art. Erst an dritter Stelle sieht Jäger die Gesundheitsgefährdung durch Infektionskrankheiten: „Und die lassen sich durch vernünftiges Verhalten auch häufig vermeiden.“

Seit Mai dieses Jahres hat das BNI sein Reisemedizinisches Zent-rum umstrukturiert. Ausgelagert in die Räume des ehemaligen Hafenkrankenhauses – „im Haupthaus war kein Platz mehr“ – kümmern sich drei Angestellte um die Bedürfnisse von Fernreisenden. Gegen ein Entgelt von 30 Mark erhält jedeR eine Beratung, die auf seine individuellen Bedürfnisse zugeschnitten ist. Dazu gehört, dass die Anamnese ebenso mit einbezogen wird wie die Art des Reisens. „Wer einen Trekkingurlaub plant“, gibt Jäger ein Beispiel, „bekommt Informationen über Wasserfilter, mit denen ein Tourist im Fünf-Sterne-Hotel nichts anfangen könnte.“

Grundsätzlich gliedert sich das Angebot in drei Teile: regionenbezogene, krankheitsbezogene undpersonenbezogene Informationen. Dabei soll möglichst umfassend beraten werden. Dazu gehört, dass nicht nur über Malariarisiken im Reiseland informiert wird, sondern auch über Umweltbelastungen oder kulturelle und politische Gegebenheiten. „In diesem Jahr wurde in Thailand ein deutscher Tourist erschossen, der das Effenberg-Zeichen gemacht hat. Das mag man da nicht“, beschreibt Jäger dras-tisch, welche gesundheitliche Risiken es neben der Tsetse-Fliege noch gibt.

Beispiele kann der Mediziner ohne Ende bringen: „Wer nach Weißrussland fährt, muss nicht nur über Cholera Bescheid wissen, sondern auch über die gefährlichere radioaktive Belastung. Wer in Chile reist, muss wissen, dass wegen des Ozonlochs die UV-Strahlung besonders stark ist. Wer nach Bolivien fliegt, muss wissen, dass er in La Paz auf über 4000 Metern Höhe landet und mit dem Kreislauf Schwierigkeiten bekommen kann. Wer...“

All diese Informationen können die Mitarbeiter des Zentrums in einer Länderdatenbank abrufen. Teile davon haben sie ins Internet gestellt, eine Vielzahl der Daten stehen aber extern nicht zur Verfügung. „Das tun wir natürlich auch aus Marketinggründen“, erklärt Jäger: Die Einrichtung wird nicht gefördert und muss sich selbst tragen. Daher ist das Zentrum darauf angewiesen, ihre Beratungen auf dem freien Markt anzubieten und zu verkaufen. Andere Informationen werden aus ethischen Gründen zurückgehalten. So werden die medikamentösen Standardempfehlungen nicht veröffentlicht: „Es gibt ein übliches Medikament, zu dem wir bei Kambodschareisen raten. Es ist aber bei Depressionen kontraindiziert. So etwas können wir nicht ins Netz stellen.“

Überhaupt legt Jäger großen Wert darauf, unabhängig von der Pharma-Industrie zu sein. Es gebe eine Menge Anbieter medizinischer Informationen, die eng mit den Konzernen kooperieren, nach dem Motto: Reisen ist schön, Typhus ist schlecht. Also nimmt man Typherix. Zwar kommt es vor, das Jäger und seine KollegInnen eine kurze Auskunft auf eine einfache Frage geben. Aber das Konzept des Reisemedizinischen Zentrums sieht eher ein längeres Beratungsgespräch vor.

„Wir wollen hier die sprechende Medizin betreiben und nichts von oben herab vorschreiben.“ Die Mediziner setzen auf die Mündigkeit ihrer Kundinnen. Man empfehle bestimmte Impfungen entsprechend der Reisegebiete und -gewohnheiten und gebe an, mit welchen Wahrscheinlichkeiten die Menschen darauf ansprechen. Die Entscheidung liegt aber letztlich beim Reisenden selbst.

Dabei wäre alles so einfach: „Wer in tropische Länder fliegt, lässt sich gegen drei oder vier Erreger impfen, und gegen die 500 anderen gibt es im Vorweg keinen Schutz.“ Darum soll man sich ein paar Grundregeln angewöhnen, mit denen man den größten Teil der Risiken vermeiden kann: Frisches Obst sollte man immer schälen, die Hände häufig waschen, die Kleidung sollte zum Klima und zur Kultur passen, und hygienische Standards sollten so weit wie möglich eingehalten werden. Dann drohen weder Ebola noch Denguefieber noch der Kopfschuss.

Das Zentrum ist erreichbar unter Tel.: 040 - 438 18 800 und im Internet unter www.gesundes-reisen.de