Verpaßte Solidarität: Die schlimmsten Fälle

Oft werden und wurden Chancen zur Solidarität nicht richtig erkannt oder sogar bewusst nicht genutzt. Hier ein paar Beispiele:

Humphrey van Weiden, der Schiffbrüchige, der von der „Ghost“ aufgenommen wird und über Kapitän Wolf Larsen sinniert: „Er war sicher schön – schön als Mann“, hat eine Chance vertan. Über Matrose Johnson sagt der Seewolf Larsen zähnefletschend: „Unser bester Seemann und mein Puller“. Trotzdem prügelt er ihn windelweich bis tot. Jedoch: Was macht der feine Herr van Weyden? Der Schriftsteller und Philosoph, der Ladyslove und Bonvivant? Hält seinen Rand. Schleicht sich. Lässt Johnson, den Super-Puller, mehr oder weniger allein. Keine Spur von Solidarität.

Genau wie diese Dame: Wollte Fräulein Prysselius sich vielleicht an Pippi Langstrumpf rächen? Für ihre schlimme Kindheit? Anstatt sich nämlich solidarisch zu erklären mit der präfeministischen, selbstständigen rothaarigen Rotzgöre, anstatt mit dem Ballonbett nach Takatuka zu fliegen, wollte sie Pippi ins Kinderheim zwingen. Wollte Thommy und Annika den Spaß verderben. Wenn sie mit wehendem Kleid und Goldrandbrille (in der Lindgren-Verfilmung von 1969 spielte Margot Trooger die „Prysselise“) zur Villa Kunterbunt gerauscht kam, war klar: Prysselius auf der einen Seite, auf der anderen Pippi. Nix mit Frauen-Solidarität.

Großbritannien, 1936. Die große Liebe. Richtig schmalzige, Herzklabaster fördernde, geigenuntermalte Liebe: zwischen Edward VIII., dem Thronfolger. Und einer A-me-rika-ne-rin! Geschieden auch noch, das Luder! Wallis Simpson. Die Briten wurden aber nur elf Monate lang von einem glücklich verliebten Menschen regiert. Dann sägten sie am Thron. Edward ging, George IV. kam. Und übernahm die verhasste Krone, anstatt aus Solidarität mit seinem Bruder im Glück, mit allen Verliebten auf der Welt „Pustekuchen!“ zu sagen. Stattdessen regierte er sich um seine Gesundheit. Und die Queenmum heute trinkt Gin und nicht Pepsi. Oder Coors Light.

Zurück ins Erste: Ist vom Wichtigkeitsgehalt her schnurz, ob Jens Riewa schwul ist oder sich Barclay James Harvest reunieren. Aber wenn jemand eine 50.000-Mark-Klage anstrengt, nur um der Welt zu beweisen, dass seine Hormone auf der Hauptverkehrsachse weiden ... Das ist eine extrem verpasste Solidaritätschance. Hätte Riewa doch gesagt: „Glaubt ruhig, dass ich schwul bin! Und dass ich die Hintergrunddias von Jelzin und Verheugen mit nach Hause nehme! Ist doch nichts dabei!“ Hat er aber nicht. Die Frage bleibt: Wohin hat er eigentlich die 50.000 Mark aus dem Prozess gegen den Quer Verlag gesteckt ...?

In Hogwarths, dem Harry-Potter-Internat für Zauberer, werden die Neuankömmlinge von einem „Sorting Hat“, einem ollen Hut, in vier Gruppen aufgeteilt, und zwar ohne Rücksicht auf Neigung oder Wunsch. Ist das vielleicht gerecht? Alle Kids, ob aus Muggel- oder Zauberfamilien, müssten sich zusammentun, und aus Solidarität mit den Unglücklichen, die ins verhasste Slytherin verbannt werden, gegen die undemokratische Aufteilung protestieren. Weg mit dem Hut der Unterschiede!

Die bekanntesten verpassten Solidaritätschancen-Opfer sind natürlich Judas (mal Hü, mal Hott, aber im Endeffekt gegen die Nächstenliebe) und Bill Wyman, Stones-Bassist, der sich weigerte, aus einer geriatrischen Solidarität heraus seinen Kollegen weiter aktiv beim Blamieren zu helfen.

Es gibt viele Chancen zur Solidarität. Nutzen Sie sie! JZ