taz? „Ist ja wie bei uns in Bulgarien!“

BARBARA OERTEL über den Solidaritätsbegriff eines bulgarischen Karikaturisten

Ungläubiges Staunen, als er die taz-Geschichte hört: miese Gehälter, auch mal mit Verzögerung ausgezahlt, und der Zweitjob abends oder am Wochenende, um überhaupt über die Runden zu kommen. „Ist ja wie bei uns zu Hause“, grinst der Karikaturist Nikolai Arnaudow (49). Zu Hause, das ist Bulgarien – ein Land, zu dem den meisten hier außer Gewichthebern im Kleiderschrankformat nur noch Joghurt und Schafskäse einfällt. Der landet eben eher auf deutschen denn auf bulgarischen Tischen – zu teuer.

Das Ringen um die tägliche Existenz, der Tanz am Abgrund: Es sind wohl diese Ähnlichkeiten, die mit noch lebenden oder bereits toten Projekten natürlich rein zufällig sind, die Arnaudow sofort inspirieren. Spontan sagt er zu, mehrere Karikaturen anzufertigen – als seinen Beitrag zur Solidaritätsausgabe der taz.

Schon als Schüler interessierte ihn, der mit Frau und zwei Kindern in Plovdiv lebt, weniger der Unterrichtsstoff als seine Lehrer. Die zeichnete er, wann immer sich die Möglichkeit bot. Einer erkannte die Begabung und sagte damals: „In ein paar Jahren werden alle Zeitungen deine Karikaturen drucken.“ An die taz hatte der weitsichtige Pädagoge dabei wohl kaum gedacht.

Auch bei der Armee hatte Arnaudow nicht nur im Panzer seinen Einsatz. Als den Soldaten ein Fernseher verweigert wurde, bastelte er ein Pendant aus einem Pappkarton und verewigte den Kompaniechef auf der Vorderseite mit den Worten: „Heute sehen Sie die ersten und letzten Nachrichten!“ Dem Vorgesetzten gefiel’s, Arnaudow bekam fünf Tage Arrest und die Truppe ihren Fernseher.

Nach seinem Kunst- und Philologiestudium in der südbulgarischen Stadt Kirdschali begann Arnaudow 1977 als Lehrer zu arbeiten. Doch die Tätigkeit im Klassenzimmer wurde bald zur Nebensache, dafür aber die Kommentierung des politischen Geschehens mit spitzem Stift ihm immer wichtiger. Dabei nahm er meist die Regierenden aufs Korn. Nur die Frage, wie weit man im Reich des kommunistischen Herrschers Tudor Schiwkow gehen konnte. Und Arnaudow ging weit. Mehr als einmal fürchtete seine Mutter, Besuch von der Miliz zu bekommen.

Mitte der 80er-Jahre verließ Arnaudow die Schule und machte sein Hobby zum Beruf. Zu dieser Zeit hatte er bereits gute Kontakte nach Ost-Berlin geknüpft. Blätter wie der Eulenspiegel oder die Berliner Zeitung druckten regelmäßig seine Karikaturen.

Heute, über zehn Jahre nach der Wende in Ostdeutschland und Bulgarien, hat sich vieles verändert. „Die Konkurrenz ist härter geworden, besonders, wenn man etwas im Ausland verkaufen will“ , sagt Arnaudow, der immerhin auch schon im Magazin Stern eine seiner Karikaturen unterbrachte. Auch gebe es eine neue Mauer, die Bulgarien vom Westen trenne und nur schwer zu überwinden sei.

Die Stoßrichtung seiner Arbeit ist hingegen gleich geblieben – Kritik an den Herrschenden im real existierenden Kapitalismus, der für einen Großteil der Menschen in Bulgarien Armut bedeutet. „Heute sind unsere Gedanken frei, aber jeder Tag ist ein Kampf ums Überleben“, sagt er. „Die Menschen tun, was sie immer getan haben: Sie hoffen auf bessere Zeiten.“ Genau wie die taz.