Fahrrad mit Geige

■ Goebbels' kämpferische Gebetsgesänge

Dreimal Heiner Goebbels, dreimal Experiment, Mut, Kreativität und gelungene Verbindung unterschiedlicher Kunstgattungen. Drei Abende im Schauspielhaus, die zeigten, wie ideenreich und erfrischend Performancetheater in Verbindung mit Musik sein kann. Zuerst der spielerische Umgang mit dem Material – Eislermaterial. Dazu ein Schauspieler. Josef Bierbichler sitzt im Halbkreis mit den Musikern des Frankfurter Ensemble Modern. Langsam zieht er sein Jackett aus und beginnt zu singen. Heraus kommt ein Sprechgesang, montiert aus diversen Suiten und Liedern. „Anmut sparet nicht noch Mühe“ handelt von dem anderen, einst erhofften Deutschland, das die DDR sein sollte.

Der kämpferische Unterton der Lieder bleibt in Bierbichlers Interpretation so harmlos, als wären es Gebetsgesänge. Dazwischen streut Goebbels gesampeltes Tonmaterial, unter anderem Die Gespräche Eislers mit Hans Bunge (fragen Sie mehr über Brecht). In der Absurdität ihrer Mischung sind sie grandios. Etwa: „Ich weiß, die Leute mögen das nicht. Aber dann müsen sie sich eben ändern.“ So einfach ist das. Punktgenau ins Herz zielen seine kleinen Lieder über „Die haltbare Graugans“ oder „Und endlich stirbt die Sehnsucht doch“.

Die ist beim Theaterbesucher jetzt geweckt, und es folgt zwei Tage später die zweite Goebbels-Gastspiel-Premiere Max Black. Auch hier blickt man auf eine überragende Schauspielerfigur, diesmal André Wilms. Als Professor entfacht er pyrotechnische Spielchen, bringt eine Flüssigkeit zum Dampfen und erzeugt Klänge mit einem Geigenbogen auf einem umgedrehten Fahrrad. Dazu sinniert er über Das Sein und das Nichts. Wittgensteins Logik-Formel steht gleich neben dem Satz: „Wenn die Fixsterne nicht einmal fix sind, wie könnt ihr denn sagen, dass alles Wahre wahr ist?“. Man sieht einen Forscher, der im Schweiße seines Angesichts dabei ist, sich selbst zu erfinden.

Um einiges verhaltener gehen die drei Aktricen Charlotte Engelkes, Marie Goyette und Yumiko Tanaka in der Deutschlandpremiere von Hashirigaki zu Werke, Goebbels' jüngstem Stück. Die drei Frauen singen und tanzen sich durch verschiedene Rollen, mal ist Marie Goyette ein kleines Mädchen, dann drischt Yumiko Tanaka als wutentbrannte Frau auf ihr Instrument ein. Das ganze vor einem Bühnenhimmel mit vielen an Wilson erinnernden Lichteffekten – und viel Musik mit Auszügen aus Brian Wilsons The making of Pet Sounds. Doch auch hier gilt, Goebbels ist immer Goebbels. Immer neu, aber immer gut.

Annette Stiekele