„Fußball ist hier immer noch Fußball“

■ Ein Interview mit Reenald Koch, dem neuen Präsidenten des FC St. Pauli, über die Zukunft des Vereins, den Neubau des Stadions am Millerntor und die besten Curry-Würste der Stadt

taz: Was sind Ihre Pläne für die Zukunft des FC St. Pauli?

Reenald Koch: Zunächst müssen wir den Verein auf eine grundsolide Basis stellen. Wir wollen uns nicht wie in der Vergangenheit abhängig machen von Dritten.

Wie wollen Sie das erreichen?

Dazu bedarf es einer entsprechenden Infrastruktur. Als erstes gehört dazu ein Trainingsgelände für den Lizenzspielbereich. Die Bedingungen, die wir heute vorfinden, sind mehr als katastrophal. Des weiteren sind wir vom DFB verpflichtet worden, ein Nachwuchsleistungszentrum zu errichten. Diese zwei Dinge sind für mich essenziell, vor allem wenn man sich überlegt, wie viele Jugendliche wir heute abweisen müssen, weil unsere Trainingsmöglichkeiten überbelegt sind.

Zumal wenn man den Amateur- und Breitensportbereich nicht vernachlässigen will.

Darauf lege ich auch sehr viel Wert. Diese Damen und Herren sind das Gerüst des FC St. Pauli. Natürlich steht immer der Profibereich in der Öffentlichkeit. Aber die Basis des Vereins sind die Amateurabteilungen. Ich vergleiche sie immer mit Aktionären: Sie sind die Mitinhaber des Vereins durch ihre Beteiligung.

Wie wollen Sie die Transparenz im Verein erhöhen?

Wir werden ein schlüssiges Konzept vorlegen. Dazu gehört beispielsweise ein ständiger Ausschuss. Wir treffen uns alle zwei Monate mit Vertretern aller Abteilungen des Vereins und besprechen intern Dinge, die einem stinken. Das haben wir jetzt zwei Mal gemacht und konnten viele Dinge ausräumen. Letztlich ist Kommunikation der Schlüssel zu allem.

Wichtig ist wohl auch die wirtschaftliche Unabhängigkeit. Wie wollen Sie es schaffen, dass Sie den Einfluss auf die Marketing GmbH wieder bekommen?

Der Verein übernimmt die Marketing GmbH wieder zu 100 Prozent. Dann werden wir eine neue Firma gründen, an der wir und die Agentur upsolut jeweils 50 Prozent halten. Die Marketingrechte werden auf die neue Firma übertragen. Damit gehören uns 25 Prozent des Umsatzes der Marketing ohnehin. Von den verbleibenden 75 Prozent erhalten wir 50 Prozent nach Abzug der Kosten.

Reden wir über Zahlen.

Unsere 50 Prozent und die des Vermarkters haben einen Wert von jeweils 2,6 Millionen Mark. Der FC St. Pauli kann als Eigenkapital 1 Million davon einbringen und 1,5 Million gewährt uns eine Bank als Darlehen. Die insgesamt 5,2 Millionen Mark fließen dann an Heinz Weisener. Damit werden sämtliche Darlehen abgelöst, die der Verein von Weisener gewährt bekam. Das ist die sogenannte Generalquittung. Damit ist der Verein schuldenfrei.

Bis auf das Bankdarlehen...

...das aber über die Beteiligung an der neuen Firma abgesichert ist. Bislang war es ja so, dass wir bislang nur auf der Passivseite der Bilanz Zahlen stehen hatten und keine auf der Aktivseite. Damit war der Zustand der Überschuldung stets da. Das ist jetzt nicht mehr so.

Das sind ja tolle Aussichten.

Wir sind ja jetzt schon auf der sunny side, dadurch, dass wir in dieser Saison sehr vernünftig gerechnet haben. Wir haben beispielsweise 5,1 Millionen Mark an TV-Geldern eingeplant und erhalten definitiv 7,1 Millionen.

Da könnte man ja fast euphorisch werden.

Nein, übertreiben wollen wir nicht. So sind wir uns zum Beispiel darüber im Klaren, dass die Mannschaft stark genug ist, um den Abstieg zu verhindern, aber nicht stark genug, um den Aufstieg zu erreichen. Mein Ziel ist es, den FC St. Pauli in den nächsten drei Jahren in der Zweiten Liga zu stabilisieren. Da bin ich der hanseatische Kaufmann, der ganz solide plant, damit wir auf ein Fundament aufbauen können. Beim Hausbau fängt man auch mit dem Keller an und nicht mit dem Dach.

Gehört dazu auch das Stadion?

Das muss kommen. Ich werde mich jetzt intensiv damit befassen. Dann müssen wir eine neue Satzung verfassen. Unsere alte ist ein juristisches Tschernobyl. Im dritten Schritt kommt die Ausgliederung der Lizenzspielerabteilung in eine eigene Gesellschaft, damit die wirtschaftlichen Risiken dieser Sparte nicht mehr auf dem Verein lasten.

Zurück zum Stadion: Planen Sie weiter mit dem Architekturbüro Weisener?

Es wäre ökonomisch gar nicht sinnvoll, ein neues Architekturbüro zu beauftragen. Die Kosten der Baugenehmigung und der Umweltverträglichkeitsprüfung müssten neu erbracht werden. Das ist eine Million, die wir sparen können. Außerdem ist das Konzept, das vorliegt, fantastisch und kostet uns in der Variante für 27.000 Zuschauer 65 Millionen Mark. Was Herr Kock da geplant hat, entspricht meinem Wunsch von einem Stadion.

Wird ein solches Unternehmen nicht den Verein über Gebühr be-lasten?

Ich werde immer dafür sorgen, dass wir nicht in ein ökonomisches Ungleichgewicht geraten. Wir sind ein Fußballverein und kein Immobilienunternehmen. Ich will auch die Stadt nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Hamburg muss dem FC St. Pauli, der ein erhebliches an sozialer Arbeit im Viertel leistet, seine Heimat mit erhalten.

Das alte Stadion mit seiner Anzeigetafel hatte doch aber auch seinen Reiz.

Nein, Fußball hat bei uns seinen Reiz. Man redet immer von Erlebnisgastronomie, aber bei uns kann jeder seine Emotionen ausleben. Wenn die Leute sehen, dass die Mannschaft in der Bredouille ist, fängt auch die Haupttribüne an zu schreien. Fußball ist hier immer noch Fußball.

Natürlich immer ohne Abgelenkung durch viel Tamtam drumherum. Bleibt das auf Dauer so?

Das wird sich wohl ändern. Wenn eine Eintrittskarte 100 oder 150 Mark kostet, muss mehr kommen als nur eine Curry-Wurst. Obwohl wir die besten Curry-Würste in ganz Hamburg haben. Das hat auch damit zu tun, dass man über die Einnahmen von Business-Seats so viel Geld generieren kann, wie man es mit normalen Karten niemals schafft.

Wie kann der Verein sich in nächster Zeit sportlich weiterentwickeln?

Der FC St. Pauli hat sich immer durch eine Einheit des Umfelds und der Truppe ausgezeichnet. Letztes Jahr waren wir keine Einheit, weil wir zu viele Stinkstiefel in der Mannschaft hatten. Dieses Jahr stimmt es wieder. Das haben Trainer Dietmar Demuth und Stephan Beutel hervorragend gemanagt. Wenn es so weitergeht, hängt auch nicht mehr immer das Damoklesschwert über uns: Wenn der Verein jetzt absteigt, dann ist er konkurs.

Um den Konkurs abzuwenden, müssen Sie den Klub auch richtig vermarkten. Wie sieht die Marketingstrategie in Zukunft aus?

Kein Verein hat es so professionell verstanden, ein Markenimage aufzubauen wie der FC St. Pauli, und zwar unabhängig vom sportlichen Erfolg. Das müssen wir pflegen. Es muss in jedem externen Detail wieder erkannt werden. Fußballspieler, die in ihrer Freizeit Jogginghosen tragen und beim Auswärtsspiel einen schwarzen Anzug tragen müssen, sind völlig wider die Natur. Beim FC St. Pauli könnte das eine Lederjacke mit enggeschnittenem T-Shirt sein.

Ist diese Marke dann auch wirtschaftlich lukrativ?

Na klar. Aber solange wir keinen sportlichen Erfolg haben, können wir alles was damit zusammenhängt vergessen. Auf der einen Seite muss St. Pauli geführt werden wie ein Wirtschaftsunternehmen, auf der anderen Seite bilanzieren wir nicht einmal pro Jahr, sondern jede Woche vor aller Augen. Das ist der große Unterschied.

Interview: Eberhard Spohd