Viele Etappen, kein Ziel

■ Was ist bloß von wem? Die Ausstellung in der Bremer Kunsthalle von hundert Zeichnungen aus dem Schüler-Umfeld des großen Meisters Rembrandt läuft einer Frage hinterher, die nie endgültig beantwortbar ist

Die Zeitschrift „ART“ rezipierte die Ausstellung „Rembrandt, oder nicht?“ als Auseinanderklamüsern von Original und Fälschung des berühmtesten niederländischen Pinselstars seiner Zeit (neben dem etwas älteren Frans Hals). „Falsch“, meint Willy Attenstädt, Geschäftsführer und guter Geist der Kunsthalle, „alles ist echt, wir zeigen nur Originale“. Aber eben nur zwölf von Rembrandt. Der Rest ist von Kollegen oder den etwa 40 bis 50 Schülern, die die Rembrandtwerkstatt passierten.

Rembrandt verfertigte seine Zeichnungen – im Unterschied zu manchem Schüler – nicht für den Verkauf, sondern als Entwurfsskizze für Gemälde oder zu Demonstrationszwecken im Unterricht. Deshalb verzichtete er prinzipiell auf eine Signatur, sehr zum Glück detektivisch veranlagter Kunsthistoriker. Vortrefflich lässt sich über Autorenschaft streiten, und vieles was Otto Benesch in seinem sechbändigen Standardschinken von 1957 noch dem Meister zuschrieb, hat Werner Sumowski, der über seinen zehn Bänden zur Rembrandt-Schule von 1979 bis 1992 schwitzte, einem Gesellen zugeschlagen. Auf etwa 900 Zeichnungen ist das Pinsel-, Feder- und Kreidewerk des Müllerssohns mittlerweile zusammengeschmolzen. Der Gemäldebestand Rembrandts wurde von etwa 600 auf 300 abgespeckt. Es geht also in der Ausstellung nicht um das Entlarven von Fälschungen, sondern um ein Überprüfen alter Zuordnungen.

Früher war alles fast so einfach wie im Märchen von Aschenputtel mit den guten und den schlechten Hülsenfrüchten. Die guten Zeichnungen wurden dem Chef höchstpersönlich zugerechnet, für die weniger genialen mussten die Gesellen geradestehen. Dahinter steckt eine Genieästhetik vom großen Einzelnen, die heute nur noch bedingt geteilt wird. Eigentlich ist alles auch heute gar nicht so kompliziert: Weil Rembrandts Zeichnungen keine autonomen Kunstwerke sind, sondern einem Zweck (Unterricht, Entwurf) dienten, sind sie eher schnell hingeworfen. „Schlampig, da hat sich einer keine Mühe gegeben“, würde Oma Krusche sagen, „modern, fast wie ein Kirchner“ orakelt dagegen Kunsthallenchef Herzogenrath. Es geht nur um die Komposition. Wolkige Schattenbildungen, ausgefeilte Raumtiefe und präzisen Strich dagegen findet man eher bei Samuel van Hogstraten, Jan Lievens, Abraham Furnerius etc. „Kurioserweise sind die Schüler rembrandesker als Rembrandt selbst“, meint Kuratorin Anne Röver-Kann.

Marschiert man die 100 Zeichnungen der Ausstellung ab, stellt sich schnell alles viel schwieriger dar als in der Theorie. Auch bei den Schülern gibt es – Verzeihung, liebe Kunstwissenschaft – Hingerotztes. Da die Schüler durch die mittelalterliche Gildeordnung verpflichtet waren, des Meisters Stilvorgaben zu folgen, lassen sich „Handschriften“ nur sehr vage auseinander dividieren. Und so erschließen sich die heutigen Zuschreibungen durchaus nicht immer als plausibel, nicht mal, wenn man im Katalog die vier, fünf Reverenzwerke pro Bild betrachtet. Den jetzigen Forschungsstand nennt Röver-Kann jedenfalls einen „Etappenstand“; ein etwas trügerischer Begriff, weil es ja eine Zieleinfahrt mit verbürgten Sicherheiten nicht geben kann.

In den 80er Jahren sah man Rettung nahen durch Zuhilfenahme exakter Wissenschaft: Bestimmung des Alters von Leinwand oder Holz, Fabrikat der Kreide, Pigmentanalyse, Papierherkunft, Wasserzeichen... Längst ist diese aufklärerische Euphorie verschwunden. Bei einem eng zusammenarbeitenden Kollektiv und der daraus folgenden gegenseitigen Beeinflussung mag die Zuordnung von Namen mit ihrer Behauptung von Individualität sogar irgendwie überflüssig erscheinen.

Lange Zeit neigte man dazu, Darstellungen von Saskia und Rembrandt dem Meister zuzuschreiben. Längst weiß man, dass Schüler die beiden porträtierten oder entsprechende Rembrandtbilder kopierten. Ein Orientale mit Schwert wurde unter Verweis auf eine identische Zeichnung Aert de Gelder zugeschrieben; dumm nur, dass die Zuordnung der Zeichnung mit just jenem Gemälde begründet wurde – ein klassischer Zirkelschluss. Und so ist für Herzogen-rath das eigentliche Ergebnis der Ausstellung nicht das Austauschen von ein paar Namen, sondern die Botschaft an den Museumsbesucher, das Schielen nach den Namensschildchen sein zu lassen.

60 der ausgestellten Zeichnungen sind Leihgaben der Hamburger Kunsthalle, dafür spendierte die Bremer Kunsthalle fünf Gemälde für eine zeitgleich in Hamburg stattfindende Ausstellung von 20 Gemälden aus dem Rembrandtumkreis. Diese Doppelausstellung ist nicht nur Beleg für neue Kooperationsbereitschaft hier und heute, sondern auch für die Berührungspunkte im Laufe der 170-jährigen Sammlergeschichte der beiden Kunstvereine. Neun Zeichnungen stammen übrigens aus dem Paket der diesjährigen Russlandheimkehrer. bk

Bis 21. Januar