Schweigende Masse schweigt weiter

Schüler-Performance gegen Rassismus auf dem Breitscheidplatz wird von pöbelnden Hertha-Fans gestört. Obwohl antisemitische Sprüche fallen, greifen die Zuschauer nicht ein. Die SchülerInnen wollen bald in Dessau auftreten

Gerd Himmstädt, Hyla Genc, Antonio Melis, Alberto Adriano. Insgesamt fast 100-mal wurden am Samstag auf dem Breitscheidplatz die Todesumstände von Opfern rechter Gewalt seit 1990 vorgelesen. Bei jedem Namen, der aus den Lautsprechern kommt, tritt ein Schüler mit einem Schild um den Hals aus der schwarz gekleideten Gruppe. Schweigend. Direkt daneben stehen – mit dem Gesicht abgewandt – rund 100 weiß gekleidete Jugendliche. Sie sollen die schweigende Bevölkerung, die nicht eingreift, symbolisieren.

Die Idee zu dieser Performance hatten zwei Schülerinnen des Beethoven-Gymnasiums in Lankwitz. „Wir haben nach den Sommerferien sehr viel über Rechtsextremismus und Rassismus diskutiert und wollten etwas dagegen tun“, sagt die 17-jährige Magda Lammert. Eine Demonstration fanden sie zu „ausgelutscht“. Mit einem Engagement in der Antifa oder in Parteien können sie nur wenig anfangen. Die „breite Masse“ sei am besten mit öffentlichem Theater zum Denken zu bewegen. Ingesamt dreizehn Schulen, vorwiegend aus dem Süden Berlins beteiligten an der Inszenierung.

Magda Lammert und ihre MitstreiterInnen haben sich in der Vergangenheit ausdrücklich selbst als Teil der „schweigenden Masse“ gesehen. Alle in der Vorbereitungsgruppe haben selbst schon mal rassistische Pöbeleien erlebt – und nicht eingegriffen, weil sie nicht wussten, wie, oder weil sie Angst hatten. Das Eingreifen nicht selbstverständlich ist, wurde auch bei der Performance deutlich. Unter das Publikum mischte sich zeitweise auch ein halbes Dutzend angetrunkene Hertha-Fans. Sie provozierten mit Sprüchen wie „Juden sind Mörder“ oder „Die Ausländer sind selbst schuld“. Nur eine einzige ältere Zuschauerin reagierte nach ungefähr zehn Minuten. Sie versuchte mit den Männern ein konfrontatives Gespräch anzufangen. Schülerin Magda Lammert hat im Nachhinein ein „schlechtes Gewissen“, dass niemand von der Vorbereitungsgruppe gegen die Hertha-Fans vorgegangen ist. „Wir hätten etwas machen sollen.“

Insgesamt ist die 17-Jährige von der Aktion „ein bisschen enttäuscht“. „Ich habe mir insgesamt mehr Resonanz erhofft.“ Magda hat während der Aufführung Flugblätter an Umstehende und Vorbeieilende verteilt und ist „teilweise auf starke Ablehnung“ gestoßen. Einer habe sogar gesagt, dass er hoffe, das rechtsextreme Morden werde weitergehen.

Außerdem gab es noch eine Panne. Eine der Beteiligten hatte ein Schild mit dem Namen Kay Diesner um. Diesner ist aber nicht Opfer, sondernTäter. Der Neonazi erschoß den Polizist Stefan Grage und schoß zudem einen Marzahner Buchhändler an. „Da haben wir uns vertan und haben das Schild dann aber schnell entfernt“, so Magda Lammert.

Innerhalb des Bündnisses der SchülerInnen, das noch keinen offiziellen Namen hat, gibt es jedoch auch viele, die die Aufführung „sehr gelungen“ fanden. Magda Lammert hofft, dass sich noch andere Schulen anschließen werden, insbesondere aus dem Ostteil der Stadt. Ihr Wunsch: Wenn es genug Jugendliche sind, können sie vielleicht auch in Dessau auftreten. Dort wurde der 39-jährige Mosambikaner Alberto Adriano an Pfingsten von drei Skinheads erschlagen. JULIA NAUMANN