Nur ein kleiner Zwischenstopp

Warum der taz-Sportredakteur Matti Lieske erst jetzt aus Sydney zurückkehrte

Todesmutig wählte er den direkten Weg durch die australischen Gebirge und Wüsten

Heute ist die gesamte taz-Redaktion von einem Gefühl tiefer Freude und Erleichterung ergriffen. Mit dreiwöchiger Verzögerung ist unser Sportredakteur Matti Lieske von der Berichterstattung über die Olympischen Spiele unversehrt aus Australien heimgekehrt. Die zerissene Kleidung und seine ausgemergelte Erscheinung lassen nur erahnen, was für Entbehrungen er auf der langen und beschwerlichen Reise von Sydney nach Berlin ertragen musste. Denn die verheerende Finanzlage der taz ließ es nicht zu, ihm ein Rückflugticket zu bezahlen. Matti Lieske musste fast den ganzen Weg trampen. Die unglaublichen Abenteuer, von denen er seinen Kollegen, die bis tief in die Nacht an seinen Lippen hingen, zu berichten wusste, können, nein, dürfen wir den Lesern nicht vorenthalten.

Kaum war das letzte Zünglein der olympischen Flamme verlodert, packte Matti Lieske frohgemut sein Ränzlein, um sich auf die gefahrenvolle Reise in die Berliner Kochstraße 18 zu begeben. Von seinem letzten Ersparten kaufte er sich auf dem Wochenmarkt von Sydney ein altes Maultier und einen Packesel, den er mit Wasserkanistern und Trockenfleisch belud. Matti hatte sich todesmutig entschlossen, den direkten Weg durch die australischen Gebirge und Wüsten zu der im Norden gelegenen Hafenstadt Darwin zu nehmen, von wo aus er sich zunächst nach Singapur einschiffen wollte. Doch schon in der ersten Nacht wandte sich das Schicksal gegen ihn.

Hilflos musste Matti mitansehen, wie ein Rudel ausgehungerter Dingos seinen Packesel und das Trockenfleisch zerfetzte und verschlang. Glück im Unglück: Das Maultier und die Wasserkanister konnte er retten, indem er die Dingos mit einem verdorrten Baumstamm in die Flucht schlug. Noch in derselben Nacht zog er weiter und traf im Morgengrauen auf ein Zeltlager mit mehreren Männern. Erstaunlich schnell waren diese Männer bereit, Lieskes altes Maultier gegen einen fahrtüchtigen Jeep, Vorräte und genügend Sprit für die Reise nach Darwin zur Verfügung zu stellen.

Einzige Voraussetzung: Er sollte einen Zwischenstopp bei Alice Springs einlegen und dort an einem festgesetzten Treffpunkt ein Paket an zwei Herren namens Rex Kramer und Ted Sarg übergeben. Die Übergabe verlief reibungslos, und zwei Tage später hatte Matti Darwin erreicht. Er veräußerte den Jeep und begab sich in eine zwielichtige Hafenspelunke, um auf einem verrosteten Handelsschiff nach Singapur als Kombüsenjunge anzuheuern.

Als er jedoch wieder zu sich kam, stellte er fest, dass er sich in Shanghai befand und von Rex Kramer und Ted Sarg mit Pistolen bedroht wurde, weil mit dem übergebenen Paket etwas nicht stimmte. Matti konnte Kramer und Sarg zwar niederringen und fliehen, doch er wusste, dass sie ihn verfolgen würden. In der Verkleidung eines Clowns schloss er sich einem kleinen usbekischen Wanderzirkus an und gelangte auf diese Weise nach Wladiwostok. Dort bekam er eine Anstellung als Mülleinsammler bei der Transsibirischen Eisenbahn auf dem Weg nach Moskau.

Die ersten zwei Tage der Fahrt verliefen ruhig. Am dritten Tag jedoch, als er sich gerade vom Müllaufsammeln wieder aufrichtete, blickte er geradewegs in zwei Pistolenläufe – Rex Kramer und Ted Sarg hatten ihn aufgespürt.

Noch bevor er die Gefahr ganz begriffen hatte, wurde die Eisenbahn von außen von einer berittenen Mongolenhorde angegriffen. Geistesgegenwärtig entwand Matti Kramer und Sarg die Pistolen und schlug sie damit nieder. Dann feuerte er mit beiden Händen aus einem geöffneten Fenster auf die johlenden Mongolen, bis diese in panischer Angst den Rückzug antraten. Aus Dankbarkeit ließ der Zugführer Matti erster Klasse und ohne weiter arbeiten zu müssen nach Moskau mitfahren. Rex Kramer und Ted Sarg wurden aus dem fahrenden Zug geworfen.

In Moskau trank Matti erst mal in Ruhe einen Kaffee und malte sich ein großes Schild: BERLIN. Damit stellte er sich an die Ausfahrt einer Autobahnraststätte, und schon bald hielt eine wunderschöne, junge, blonde Schwedin an, die ihm freundlich anbot, ihn an sein Ziel zu bringen.

Erst in Riga wunderte sich Matti über die Fahrtrichtung, doch zu spät. Die junge Schwedin war in Liebe zu ihm entbrannt und verschleppte ihn nach Malmö, wo sie ihn in ihrer Villa festhielt. Erst nach einer Woche gelang es Matti, mit dem Privat-Hubschrauber seiner Entführerin zu fliehen und geradewegs auf dem taz-Dachgarten der Kochstraße 18 zu landen. Schön, dass er wieder da ist. Rex Kramer und Ted Sarg tauchten überraschenderweise nie wieder auf.

CORINNA STEGEMANN