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: Warum Franz Beckenbauer kein Nietzscheaner ist

Wer sich selber nicht glaubt, lügt immer

Versuchen wir es mal mit Friedrich Nietzsche. Der Denker und Dichter gilt ja als Meister des gepflegten Aphorismus, der für jede Lebenssituation einen kessen Spruch auf der Lippe hatte. Warum also nicht auch jetzt?

„Wer sich selber nicht glaubt, lügt immer“, hat Nietzsche gesagt, was schon gar nicht so schlecht ist, um als Antwort zu dienen auf eine Frage, wie sie sich Franz Beckenbauer gestellt hat am Samstag nach dem Derby im Münchner Olympiastadion (das die Bayern übrigens 3:1gegen 1860 gewannen). „Wie konnte das passieren?“, rätselte der Kaiser, das Schicksal Christoph Daums im Kopf, und sein Blick verriet dabei ein angestrengtes Nachdenken, zielte auf den Boden und verharrte im Nichts. Genau das war es auch, was er als Erklärung anbot. Gerne hätte man ihm wie beim Einsagen in der Schule zugerufen: „Franz, denk an Nietzsche!“ Aber Beckenbauer dachte nicht, zumindest nicht an Nietzsche, und so konnte er diese kleine Tagesaufgabe nicht lösen. Sein nachgeschobenes: „Da muss man Daum selbst fragen“, kam nicht mehr in die Wertung. Sechs, setzen!

Aber glücklicherweise werden Noten im Allgemeinen nicht nur für einzelne Prüfungen vergeben, und deshalb konnte Beckenbauer beim zweiten Test glänzen, der sich weniger mit der Gegenwart als mit der Zukunft beschäftigte. Bevor der Kaiser aber die Eins mit Sternchen abräumen durfte, versicherte er, „kein Psychologe und kein Arzt“ zu sein, was wohl niemand bezweifelt. Ebenso die Richtigkeit der Worte, die Beckenbauer dann anschließend sprach: „Er wird eine Entziehungskur machen müssen.“ – „Jeder kann von dieser Krankheit geheilt werden.“ – „Man muss sich jetzt um ihn kümmern.“ Das Diplom zum Sozialarbeiter hätte Beckenbauer damit Summa cum laude bestanden. Glückwunsch!

Fraglich ist nur, ob er seine frisch gewonnenen Qualifikationen jemals in der Wirklichkeit anwenden kann. Daum jedenfalls, sein erster Patient, suchte bereits vor der ersten Sitzung das Weite und weilt, wie man weiß, mittlerweile in Übersee. Auch andere Kandidaten, die dringend seiner Dienste bedürften, sind entweder flüchtig (Diego Maradona), trotzdem erfolgreich (Udo Lattek) oder tot (Falco). Nun ist es ja so, dass Beckenbauer durchaus den Ruf als flexible Person besitzt und stets nach der alten Adenauer-Regel lebt: „Was interessiert mich mein Beruf von gestern.“ Aber das, also die Sache mit dem Seelsorger für Süchtige, sollte er sich noch mal überlegen.

Besser wäre da schon ein anderer Job. Berater. Berater von Franz Beckenbauer. Das ist ein Beruf mit Zukunft. Der wird nämlich gerade dringend gebraucht. GERALD KLEFFMANN