Der Ostberliner Fußballverein 1. FC Union macht das Scheitern zum Prinzip

Die Unaufsteigbaren

Der Basisdruck-Verlag hat mal wieder ein Buch verlegt: ein Fußball-Fan-Buch über den 1. FC Union in der Wuhlheide, geschrieben von Jörn Luther und Frank Willmann. Zuvor hatte bereits innerhalb derselben Szene Annett Gröschner ein Buch über den 1. FC Magdeburg veröffentlicht und das telegraf der Umweltbibliothek Interviews mit Hardcore-Fußballfans abgedruckt. Nähern sich so – über den Populismus – die linken Ost-Intellektuellen dem Hooligan-Neonazismus an?

Die Premiere des Buches über „Eisern Union: Und Niemals Vergessen“ fand in der Union-Fankneipe „Abseitsfalle“ statt. Ein paar Tage zuvor war ich nachts mit Bert Papenfuß auf der Suche nach einer Imbissbude die Danziger Straße runtergelaufen. Schließlich landeten wir in einem Döner-Laden. An der Theke standen fünf Stammgäste, die alle naselang dem Wirt zuriefen: „Fikret, noch ne Runde!“ Wie sich dann herausstellte, waren es Unionfans.

Sie klärten mich, den Westler, dann auch gleich darüber auf, worin der Unterschied zwischen einem Union- und einem Hertha-Fan bestehe: „Die Hertha-Fans werden dann aktiv und von Prominenz unterstützt, wenn es mit dem Verein aufwärts geht. Bei Skandalen und Niederlagen springen sie jedoch bis auf den harten Landsknecht-Kern alle ab. Bei den Union-Fans ist es genau umgekehrt. Je mieser die Elf spielt und je öfter sie verliert, desto mehr Unterstützung mobilisieren wir.“

Ich verstand. Und sofort war mir diese Union-Fangruppe in der Dönerbude sympathisch. „Die Herzen der Ostberliner Fußballfans braucht der 1. FC Union Berlin nicht erst zu erobern“, schreiben Luther und Willmann, „er besitzt bei ihnen praktisch ein Erbrecht auf Sympathie, und das, obwohl er in seiner wechselvollen Geschichte viele Tiefschläge hinnehmen musste und ihm bis heute das Image eines Underdogs, eines Losers anhaftet.“

Der 1. FC Union wurde zu DDR-Zeiten benachteiligt – gegenüber dem von Mielke protegierten BFC Dynamo, der die besten Spieler zugeteilt bekam und von Schiedsrichtern nachhaltig unterstützt wurde: „Nach der Wende stellten sich diverse Glücksritter ein, die immer nur das Beste für Eisern Union wollten, sich dann gern selbst das Beste und den Club dabei fast ins Aus manövrierten. Den Ruf einer Losertruppe wurde der Verein nie los.“

Die mehr als stiefmütterliche Behandlung durch die DDR-Sportführung hatte zur Folge, dass er seit seiner Gründung im Januar 1966 bis zur Wende ständig zwischen erster und zweiter Liga pendelte. Nach der Wiedervereinigung versagte Union sogar in den entscheidenden Spielen um die Qualifikation für die zweite Liga. Fortan bewegte er sich in den Niederungen der Drittklassigkeit, begleitet von drohenden Konkursen, Skandalen, Lizenzverweigerungen.

Wieder und wieder verpasste man den Einzug in die zweite Liga: „Hatte man endlich einmal die sportliche Qualifikation geschafft, fehlten Unterlagen, wurde eine Bankbürgschaft gefälscht, oder es fehlte die finanzielle Grundlage für den Erhalt der Profilizenz.“ In Anbetracht des fortwährenden Scheiterns gaben die Fans ihrem Verein den Namen „Die Unaufsteigbaren“.

Erst Ende der 90er-Jahre kam es zur Konsolidierung durch den Einstieg von Dr. Kölmel und seiner Kinowelt AG. Das ersehnte Ziel schien in der Saison 1999/2000 greifbar nah: Im zehnten Anlauf glaubte man, den Sprung in die zweite Liga sicher schaffen zu können. Doch der Aufstieg wurde abermals verspielt, Union scheiterte an Osnabrück und Ahlen.

Woher kommt nun die Sympathie der Fans für einen Fußballclub, der so regelmäßig, wenn es darauf ankommt, verliert? „Es ist wohl so“, schreiben die Autoren von „Eisern Union“: „Der 1. FC ist mehr als nur ein Fußballclub. Union bietet eine Identifikationsmöglichkeit für Menschen, hauptsächlich Männer, die sich und ihren Verein über eine bestimmte Art von Widerständigkeit definieren: Wir lassen uns nicht kleinkriegen! Ihr könnt uns noch so oft für tot erklären, wir stehen trotzdem wieder auf!“ Eine Art Ostberliner Donaldismus?!

Bei einer Lesung, zu der auch noch der Union-Dokumentarfilm „Freitags in die Grüne Hölle“ gezeigt wurde, legte Torsten Schilling Musik auf. Der Gründer der Micro-Lounge und „Medienkultivator“ wurde gerade vom ehemals nackt auf Wahlplakaten posierenden Jugendsenator Thomas Krüger in den Planungsstab seiner „Bundeszentrale für politische Bildung“ berufen.

So kommt eins zum anderen. Am Ende werden die ostdeutschen Loser noch auf dem Amtswege verherrlicht! Tatsächlich schuf man schon eine neue, dritte Profiliga. Dort spielt der 1. FC Union nun in dieser Saison.HELMUT HÖGE