HERBSTGUTACHTEN: DAS WIRTSCHAFTSWACHSTUM WIRD SINKEN
: Heilige Logik

Der Ölpreis ist hoch, der Euro ist niedrig – und deshalb wird die Konjunktur in Deutschland und in der EU im kommenden Jahr etwas schwächer ausfallen als bisher gedacht. So die großen Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem gestrigen Herbstgutachten. Die großen Wirtschaftsverbände finden das Gutachten zu optimistisch. Die Euro-Schwäche und die Inflationsgefahr seien gefährlicher als von den Wirtschaftsforschern bedacht.

Das ist einerseits eine wohlfeile Leier aus der Wirtschaftsecke. Denn den Euro stärken heißt für die Unternehmensverbände Steuern senken sowie soziale Errungenschaften in der Euro-Zone ebenso streichen wie gewinnhemmende Vorschriften. Andererseits ist es aber auch ein Ablenkungsmanöver. Denn vor allem die hohen Öl- und Rohstoffpreise treiben die Inflation hoch und dämpfen das Wirtschaftswachstum. Je weniger die Wirtschaft also vom Öl und von Rohstoffen aus dem Dollarraum abhinge, desto geringer wären die Gefahren solcher externen Effekte für das Bruttosozialprodukt. Im Klartext: Wir bräuchten eine Ökosteuer, die sich gewaschen hat. Spritpreis auf fünf Mark, Lkw-Verkehr auf die Schiene oder besser noch reduzieren, Frachtflug verteuern, Rohstoff- und Energieverbrauch drastisch senken – das wären hilfreiche Maßnahmen. Doch genau solche Vorhaben bekämpft die Industrie, selbst wenn sie dafür im Gegenzug Steuersenkungen oder Ähnliches bekäme. Gestern forderte zum Beispiel der Deutsche Industrie- und Handelstag, die nächste Stufe der Ökosteuer zu verschieben. Heilige Logik.

Schwieriger gestaltet sich der theoretische Ausweg aus dem zweiten Problem, das die Konjunkturforscher sehen: Die ostdeutschen Länder fallen ihrer Meinung nach 2001 das vierte Jahr in Folge weiter hinter Westdeutschland zurück. Die Arbeitslosigkeit werde dann 6,8 Prozent im Westen und satte 16,7 im Osten betragen. Der früher viel geschmähte Vergleich mit Italiens großer Differenz zwischen Norden und Süden ist also nicht mehr fern. Die Experten fordern, die Produktivität im Osten müsse steigen und das Wachstum der Löhne geringer ausfallen als das der Produktivität. Schön und gut – aber wie soll das erreicht werden? Die Bundesregierung soll noch mehr in die Infrastruktur der neuen Länder stecken, meinen die Forscher. Doch die Regierung weiß gar nicht, in welche Bereiche genau – Straßen, Internet, Schulen, Industrieförderung? Wichtiger als Halbjahresgutachten zur Konjunktur wäre vielleicht ein Ost-West-Gutachten, das der Politik dann für die anstehenden Solidarpaktverhandlungen als Datengrundlage dienen könnte. REINER METZGER