Riss im Kühlsystem

In dem Atommeiler Biblis ist nach 27 Jahren ein Defekt bemerkt worden. Viel zu spät, meinen Experten

FRANKFURT taz ■ Der hessische Umweltminister Wilhelm Dietzel (CDU) trat am Montagabend in Wiesbaden mit einer interessanten Nachricht vor die Presse: „Im Rahmen der Revisionsarbeiten in Block A des KKW Biblis wurde im Bereich der Verbindung des Not- und Nachkühlsystems zum Reaktorkühlkreislauf ein Riss entdeckt, der sich wahrscheinlich seit dem Bau der Anlage in der betroffenen Schweißnaht befindet.“

Das Problem ist in diesem Fall nicht der Riss. Der ist zwar in einem nicht absperrbaren Teil des Kühlsystems entdeckt worden, was bedeutet, das im Falle eines Lecks die Notkühlung eingeschaltet werden müsste. Radioaktivität kann an dieser Stelle jedoch nicht in die Umwelt gelangen. Allerdings lässt die Tatsache, dass der Riss erst jetzt entdeckt wurde, Rückschlüsse auf die Qualität der Sicherheitsüberprüfungen zu. „Womöglich sind an anderen, gefährlicheren Stellen auch Risse“, sagte ein Atomexperte gestern gegenüber der taz.

27 Jahre lang soll der Riss unentdeckt geblieben sein – trotz aller Revisionen und Begutachtungen auch durch die Atomabteilung des Öko-Instituts in Darmstadt in den frühen 90er-Jahren. „Wir haben den Reaktor nie komplett untersuchen dürfen, sondern immer nur einzelne Bereiche nach Störfällen“, sagte der Atomphysiker Lothar Hahn vom Öko-Institut gestern der taz. Hahn steht auch der Reaktorsicherheitskommission (RSK) vor, die sich auf Weisung von Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) noch in diesem Monat mit dem Defekt im zentralen Sicherungssystem des Reaktors beschäftigen soll.

Wie Hahn weiter sagte, könne erst nach der Anhörung der Revisoren aus Biblis eine Handlungsempfehlung an den Bundesumweltminister ausgesprochen werden. Entscheidend für die Bewertung wird sein, ob es sich bei dem Riss um einen herstellungsbedingten oder um einen betriebsbedingten Defekt handelt.

Ein herstellungsbedingter Defekt könne durch Reparatur schnell behoben werden, heißt es bei RWE. Für Lothar Hahn von der RSK stellt sich allerdings auch da schon die Frage nach der Qualitätskontrolle durch RWE und damit die nach der Zuverlässigkeit der Betreiber. Ein betriebsbedingter Defekt dagegen tangiere nicht nur die Betriebssicherheit von Biblis A, sondern auch die von baugleichen Reaktoren. Stilllegungen könnten dann nicht ausgeschlossen werden.

Nicht umsonst habe sich die Betreibergesellschaft RWE AG beeilt zu erklären, dass es sich bei dem Riss um einen „herstellungsbedingten“ Defekt aus dem Baujahr 1973 handele, sagte der atompolitische Sprecher der Grünen im Hessischen Landtag, Alexander Müller, gestern in Wiesbaden. Weil Landesumweltminister Dietzel diese Version noch vor der von ihm selbst geforderten „unverzüglichen Bewertung der Ursachen“ kritiklos übernommen hat, ist der schwarze Dietzel für den grünen Müller „ganz offenbar zum Lautsprecher von RWE mutiert“.

KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT