Die unübersichtlichen Mühen des Übergangs

Trotz zäher Obstruktion der radikalen Nationalisten im Parlament kommt schließlich eine serbische Übergangsregierung zustande

BELGRAD taz ■ Der Buhmann der serbischen Politik erprobte sich wieder. Der Chef der ultranationalistischen „Serbischen Radikalen Partei“ (SRS) präsentierte dem gespannten Auditorium Demokratie à la Vojislav Šešelj. Zuerst hämmerten die 83 Abgeordneten der SRS auf die Bänke, um ihrem Wunsch nach einer Live-Übertragung der Parlamentssitzung im staatlichen Fernsehen Nachdruck zu verleihen. Als dem zugestimmt wurde, kündigten sie an, dass jeder der Abgeordneten seine garantierten zehn Minuten Diskussionszeit ausnützen würde, „830 Minuten Wahlkampagne für die kommenden Wahlen am 23. Dezember“, wie ein SRS-Vertreter erklärte, denn die „Kommunisten“ aus der Demokratischen Opposition Serbiens (DOS) würden der SRS den Zugang zu den staatlichen Medien verweigern.

Im serbischen Parlament sitzen 250 Abgeordnete. Wenn der Machtwechsel legal vollbracht werden soll, und daran ist DOS und dem neuen Präsidenten, Vojislav Koštunica, sehr gelegen, kann man die SRS nicht einfach ignorieren.

Am Montag also lähmten die SRS-Abgeordneten mit unzähligen weisen Sprüchen wie: „Es ist besser, einen Tag wie ein Mensch und Adler zu leben, als ein Leben lang ein Sklave der Nato zu sein“ das Parlament. Am Dienstag zog die SRS aus dem Parlament aus, um es beschlussunfährig zu machen. Da ihnen niemand folgte, wurde das notwendige Quorum für eine Abstimmung über die Übergangsregierung trotzdem erreicht. Eine wichtige Hürde im Demokratisierungsprozess war genommen.

Keinen leichten Stand hatte der neue Generalsekretär der Milošević-Sozialisten (SPS), Zoran Andjelković, der erklären musste, warum seine Partei dem Druck der DOS, die im Parlament gar nicht vertreten ist, weicht, und sich die Kritik der Radikalen anhören musste, die Gefolgschaft von Milošević hätte sich „in die Hose gemacht“ aus Angst vor „Nato-Exponenten“ in Serbien.

Für die „kooperative“ Haltung der SPS, die einer „widerstandslosen Machtübergabe“ gleichkomme, gibt es zwei Gründe, erläuterte der taz ein Funktionär, der anonym bleiben will. Erstens hätten viele hohe Vertreter der alten Nomenklatura Angst vor neuen Massendemonstrationen, die in Lynchjustiz eskalieren könnten. Zweitens wollten Realisten in der SPS die Partei von kompromittierten Funktionären säubern und reformieren, denn nur so könne sie vor dem Untergang gerettet werden.

Wer zufällig Strom hatte, konnte in seiner kalten, ungeheizten Wohnung die hitzigen Parlamentsdebatten genießen. Denn das Stromnetz in Serbien steht kurz vor dem Zusammenbruch, die Fernheizung ist mangels Erdgas und Heizöl außer Betrieb. Die Preise für Nahrungsmittel und Benzin sind ungezügelt gestiegen. Die Schmeicheleinheiten der Staatengemeinschaft wegen der demokratischen Wende sind zwar angenehm, aber was nützt die Aufhebung des Wirtschaftsembargos, wenn man zum Beispiel den Sprit, den es wieder an Tankstellen gibt, nicht bezahlen kann? Die ausländische Hilfe kann nicht anlaufen, wenn es keine Regierung gibt, die sie empfangen kann. Und die Regierungsbildung in Serbien wird von der SRS behindert, die ironisch behauptet, vom Westen kämen nur leere Versprechungen, aber nie handfester Rückhalt. Und die Konstituierung der jugoslawischen Bundesregierung hängt von Verhandlungen der DOS und der „Sozialistischen Volkspartei“ (SNP) aus Montenegro ab, den ehemaligen Verbündeten von Milošević. ANDREJ IVANJI