Ein Polenz kommt selten allein

Nur wer dazulernt, bleibt im Amt: Auch der neue CDU-Generalsekretär konnte bei seinem ersten Auftritt höchstens seiner eigenen Partei Angst machen

von PATRIK SCHWARZ

Der Mann redet, als sei er gerade geschasst worden. Dass ihn sein Arbeitgeber in der Privatwirtschaft mit einer Rückfahrkarte ausgestattet habe. Dass er auch etwas anderes als Politik machen könne. Dass er in seinem alten Beruf ohnehin besser verdient habe. Warum erzählt Laurenz Meyer das? Der alte Generalsekretär ist noch keine 24 Stunden abgelöst, da hat sich die CDU schon den nächsten Ruprecht Polenz zugelegt: ziemlich ungeschickt, ziemlich angestrengt und schrecklich off-message.

Seit Parteichefin Merkel am Montag überraschend den NRW-Landespolitiker Meyer zu ihrer neuen rechten Hand gekürt hat, wird der Mann als Angreifer gerühmt. Spaß habe er an der Polemik, zuspitzen könne er und dem politischen Gegner gehörig einheizen. Nun ist das ein großes Versprechen, denn welcher Generalsekretär der letzten zehn Jahre konnte das schon? Peter Hintze hat sich selbst lächerlicher gemacht als den politischen Gegner, Volker Rühe war Absolvent der Al-Gore-Academy für lebhafte Mimik, und auch die SPD hat mit Franz Müntefering einen Zauberkünstler, dem die Asse im Ärmel hängen bleiben.

Bei seinem ersten großen Auftritt gestern in Berlin vermochte es Laurenz Meyer ebenso wenig wie sein Vorgänger, jene Mischung aus Präzision und Angriffslust an den Tag zu legen, welche die CDU seit Heiner Geißlers Tagen von einem Generalsekretär erwartet. Selbst die Ankündigung, „statt mit dem Florett, auch mit dem Säbel“ fechten zu können, schränkte er ein – „wenn der politische Gegner das unbedingt möchte“.

Und da ist von Meyers großem Patzer noch gar nicht die Rede gewesen. „Ich bin in einer viel stärkeren Position als der Ruprecht Polenz“, habe er Angela Merkel gleich gestern schon gesagt, „einen zweiten Missgriff können Sie sich nicht erlauben!“ Mit einem Streich den Vorgänger und die neue Chefin für inkompetent zu erklären – man wünscht der CDU nicht, dass Meyer zu oft zum Säbel greift. Vergnügt stand er dabei hinter seinem Sprechpult, und schneidend fährt ihm Angela Merkel dazwischen. Natürlich sei Herr Polenz kein Missgriff gewesen. Meyer dreht sofort bei, bietet eine Entschuldigung an, kommentiert seinen Rückzieher mit dem Hinweis, daran könne man seine „Beweglichkeit“ erkennen – und ist fortan damit beschäftigt, in Fernsehinterviews zu erklären, dass die CDU in die Offensive muss. Ganz unbeabsichtigt hat der Generalsekretär freilich das Geheimnis hinter der Ablösung von Ruprecht Polenz eingestanden – dass dieser seiner Chefin nicht mehr taugte.

Ungeachtet aller Pannen – Laurenz Meyer freut sich. Und legt vor lauter Freude seiner neuen Chefin gleich zweimal den Arm über die Schulter, sodass Angela Merkel plötzlich aussieht wie die Siegerin im Zeichenwettbewerb der Stadtsparkasse Hamm. Zwischen England und Italien kam es fast zum Krieg, weil einst ein überschwenglicher Staatspräsident gewagt hatte, Königin Elisabeth am Arm zu fassen.

Von seinen Fernsehinterviews profitiert Laurenz Meyer sichtbar. Nicht nur geben sie dem neuen CDU-Generalsekretär die Möglichkeit, sich auf allen Kanälen bei seinem Freund Ruprecht zu entschuldigen, sondern sie erlauben ihm auch, nach und nach so etwas wie politische Standpunkte zu entwickeln. Je mehr Fernsehauftritte der neue Verantwortliche für die große Linie hinter sich bringt, um so klarer wird, was er von einem Einwanderungswahlkampf hält: wenig. „Das zentrale Thema ist die Wirtschafts- und Sozialpolitik“, glaubt Meyer. Erst wenn die Wähler der Union auf diesen Gebieten wieder mehr Kompetenz zutrauten als der Regierung, sei an einen Machtwechsel zu denken. Als Jüngster im CDU-Machttrio aus General, Parteichefin und Fraktionschef vermeidet Meyer Kritik an Friedrich Merz, dem prominentesten Befürworter eines Ausländerwahlkampfs. In der Sache neigt er aber offenbar den Merz-Gegnern zu. Über Einwanderung, sagt der künftige Wahlkampfleiter Meyer, sollte man „möglichst außerhalb von Wahlkämpfen“ reden, „weil dort die Dinge schnell aus dem Ruder laufen können“. Im Übrigen, „eine Kampagne kann man ja nur machen, wenn man dazu eine gefestigte Meinung hat“. Wie fest die Meinungen des Laurenz Meyer sind, ist noch nicht abzusehen. „Es ist mit Sicherheit so, dass wir in Zukunft Zuwanderung brauchen, insbesondere nach 2005“, sagt er. Und fügt hinzu, dass er auch mit Friedrich Merz schon ganz lange befreundet ist.

Bei seinem ersten Auftritt in der Bundespolitik musste Laurenz Meyer, Vizepräsident des Landtages von Nordrhein-Westfalen, eine Erfahrung machen, die vor ihm schon andere Regionalgrößen erlitten. Gerhard Schröder brauchte fast ein Jahr als Wahlkämpfer und ein weiteres als Kanzler, um sich zum Bundespolitiker zu mausern. Nur wer dazulernt, überlebt. Meyer muss sich dabei gar nicht Gerhard Schröder zum Vorbild nehmen: Gleich voll waren die beiden Wassergläser von Merkel und Meyer zu Beginn ihrer Pressekonferenz. Am Ende hatte der Neuling bis auf einen Fingerbreit sein Glas geleert, seine Chefin nur ein paar kleine Schlucke genommen. Wenn es heiß hergeht, ist Angela Merkel allemal cooler als ihr neuer General.