„Ich habe nie Mut bewiesen“

Alexander Osang hat mit „die nachrichten“ seinen ersten Roman geschrieben. Der Reporter und Schriftsteller über die Lust am Klischee, Haarausfall und Journalismus vor und nach der DDR: „Wir haben einfach weitergemacht und waren dann Richter“

Interview: PETRA WELZEL

taz: Haben Sie sich ’89 vorstellen können, dass Sie mal einer der begehrtesten deutschen Reporter sind und für den „Spiegel“ in New York sitzen?

Alexander Osang: Nein, überhaupt nicht. Das ist ein absoluter Traum, irgendwie immer noch. Obwohl ich mich über die Jahre dem Ganzen allmählich angenähert habe. Ich habe ja schon lange Angebote von Stern und Spiegel bekommen. Insofern ist es jetzt nicht mehr ganz so überraschend. Aber selbst in New York, wenn ich abends aus dem Büro komme und das Licht so schön ist, dann habe ich immer noch Glücksgefühle, könnte ich hüpfen, weil ich da wohnen darf. Dass ich dort arbeiten kann, dass ich dort einen Schreibtisch habe, das ist schon großartig.

Ist der Druck größer geworden, weil man von Ihnen permanent Supergeschichten erwartet?

Nein. Und komischerweise habe ich diesen Druck auch noch nie gespürt, dass ich besser werden muss. Momentan kann ich auch gar nicht besser werden, weil ich New York und Amerika nicht so gut kenne wie Berlin und den Osten. Ich kann die Sprache nicht so gut wie Deutsch, bestimmte Nuancen gehen mir verloren. Wenn ich hier eine Wohnung betrete, dann erzählt mir die Wohung alles Mögliche über den, der da drinnen wohnt. Das ist in Amerika noch nicht so.

Sie haben Ihr Buch einen „journalistischen Roman“ genannt. Sein Aufbau erinnert eher an einen guten Krimi ...

Er soll auch spannend und unterhaltend sein. Journalistisch ist er in dem Sinn, dass sich die Reportage und das Porträt seit jeher schon an der literarischen Form anlehnen. Insofern habe ich nicht nach einer neuen Sprache suchen müssen. Ich bin mit meiner Sprache sehr gut ausgekommen. Vielleicht ist das das Journalistische des Romans. Und ich habe bestimmte Oberflächen recherchiert wie ein Journalist. Ich bin in der Tagesschau-Redaktion gewesen, habe mich in einen Nachrichtensprecherstuhl gesetzt und versucht herauszufinden, was das für ein Gefühl ist. Ich habe Interviews mit Nachrichtensprechern gemacht. Ich habe in der Gauck-Behörde, in der Außenstelle in Neubrandenburg, recherchiert, um zu sehen, wie dort gearbeitet wird. Wo kommen die Leute her, wie sieht so ein Archiv aus? In diesen Dingen wollte ich genau sein.

Ein Grund, einen Roman zu schreiben, sei, haben Sie gesagt, dass es nur selten Gelegenheit gebe, als Reporter über Sex, Fußball, Saufen und Haarausfall zu schreiben. Geht der Trend nicht eher dahin? Der Fall Christoph Daum vereint doch zurzeit alle vier Themen.

Ja, das stimmt. Aber was ich damit sagen will, ist, dass ich mit dem Buch auch meine eigene Geschichte erzählen wollte – nicht was Sex, Saufen und Haarausfall angeht –, sondern eher, was Anpassung betrifft, den Wechsel von einer in die andere Gesellschaftsordnung, die Ängste, zu versagen. Alle Hauptfiguren, auch der Provinzreporter aus Neubrandenburg, der immer nur von den großen Geschichten träumt, oder die Wut der Spiegel-Reporterin Doris Theyssen auf ihre ehemaligen Landsleute, das ist mir selbst vertraut. Und das sind alles Dinge, die ich erzählen wollte, die man aber nicht in einem Leitartikel oder einem Bekenntnis-Essay bringen kann. Die erzählt man besser in Figuren. Und nebenbei kann man dann auch sehr schön über Haarausfall schreiben.

Wie groß ist der Schritt von der Reportage zur Fiktion?

Was das Technische und wie gesagt die Sprache angeht, ist der nicht so riesig. Ein großes Problem war aber, Helden zu schaffen, die neben den wirklichen Menschen des Alltags bestehen können. Figuren, die nachvollziehbare Schritte gehen. Das klingt jetzt etwas metaphysisch, aber die beginnen ab einem gewissen Punkt zu leben. Die Theyssen war anfangs einfach nur fies und bös. Aber dadurch, dass ich auch ihr etwas von mir gegeben habe, bekommt sie menschlichere Züge und lebt. Es war umso schwerer, diesen Charakteren Blut zu geben, weil sie ja im eigenen klischeebehafteten Umfeld spielen. Aber ich wollte ein Buch schreiben, das nah am Klischee ist, einfach zu lesen ist, spannend, bunt und sarkastisch.

Ihre Hauptfigur Jan Landers erscheint beim Lesen am authentischsten. Da hat man das Gefühl, da steckt am meisten von Ihnen selbst drin. Liegt das daran, dass er viele Züge Ihrer Autobiografie trägt?

Ja klar. Ich war zwar kein IM, aber ich habe mich natürlich auch gefragt, wo meine Schuld liegt. In der DDR ist immer alles vor sich hin gedümpelt, ich auch. Ich habe nie Mut bewiesen, ich habe immer sehr viel Glück gehabt, ich habe zwei Jahre Journalismus gemacht zu DDR-Zeiten. Mich hat nie jemand aufgefordert, Rechenschaft darüber abzulegen. Wir haben einfach alle weitergemacht und waren dann Richter über die, die IMs waren. Diesen Strich durch eine Gesellschaft zu machen – hier die IMs, das sind die Schuldigen, und die anderen sind raus –, das finde ich viel zu bequem und auch untauglich, um Menschen zu beurteilen. Ich habe mich oft gefragt, wie ich so sein konnte, wie ich war, wie ich Wettbewerbsnachrichten schreiben konnte, wie das ging.

Alexander Osang liest heute um 20 Uhr in der Akademie der Künste und diskutiert mit Regine Sylvester („Berliner Zeitung“) u. Ulrich Deppendorf (ARD). Am 28. 10. liest er um 22.30 Uhr im Roten Salon der Volksbühne, am 2. 11. um 20 Uhr im Waschhaus Potsdam