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Fünf Finger sagen fröhlich ich

Die etwas anderen Verkehrsnachrichten: Seit den Siebzigerjahren dokumentiert der polnische Experimentalfilmer Josef Robakowski sein Leben in Lodz. Bei Daniel Pflumm verschwindet die Realität hinter Videoloops mit Markenlogos und Fake-Werbeartikeln. Der Frankfurter Kunstverein stellt beide aus

von ANDREAS BAUER

„Ein Auto, ein Auto, ein Autobus, ein Fußgänger, eine Straßenbahn“, tönt es erregt aus dem Lautsprecher, als wäre es ein Fotofinish. Doch die wackeligen Bilder zeigen nur ganz normalen Straßenverkehr: Büromenschen, die den Straßenbahnen hinterherwetzen, und Wartburgs, die den Boulevard herunterrattern. „Cars, Cars“ lautet der Film von Josef Robakowski, der aus dem Alltag ein Formel-1-Rennen macht – mit offenem Ausgang. Der Film ist eine von 40 Arbeiten des polnischen Künstlers, die der Frankfurter Kunstverein auf Monitoren und Projektionsflächen zeigt.

Josef Robakowski? Kaum jemand kennt ihn in Deutschland. In Polen ist das anders. Dort ist der 61-Jährige in nahezu allen bedeutenden Sammlungen vertreten. Als Mitbegründer der experimentellen Workshops an der Filmakademie Lodz beschäftigt er sich schon seit den frühen 70er-Jahren mit Film und Video. „Die Wirklichkeit ist mir eine Partitur“, sagt Robakowski und stieß damit gegen eine auch heute noch in Polen weit verbreitete marxistische Kunstauffassung, die davon ausgeht, dass Kunst nicht aus der Interaktion mit der Realität entstehen könne. Während des Kriegsrechts in Polen waren seine Filme nur im Untergrund zu sehen. So die auf zehn Minuten zeitgeraffte fünfstündige Trauersendung des polnischen Fernsehens zum Tode Breschnews und das ins Ornamentale beschleunigte Treiben auf einem Schwarzmarkt.

Ganz wichtig ist in Robakowskis Filmen der Kommentar. Er kennzeichnet die im Direct-Cinema-Stil aufgenommenen Bilder als Versuche subjektiven Verstehens. In der Langzeitstudie „View from my Window“ verfolgt Robakowski Menschen auf dem trostlosen Platz vor seiner in dem als „Manhattan“ bezeichneten Viertel gelegenen Plattenbauwohnung in Lodz. „Das ist ein Kommunist, das ist ein Denunziant“, heißt es aus dem Off. 20 Jahre hat Robakowski aus seiner Küche heraus die Menschen und den Platz beobachtet und damit auch den gesellschaftlichen Wandel Polens dokumentiert: In den 80er-Jahren wird aus dem Vorplatz ein Parkplatz. Während des Kriegsrechts ist er abends menschenleer. Nach der Wende entsteht ein Kaufhaus, danach ein Kino und ein ausländisches Hotel. Der sozialistische und postsozialistische Alltag wird Robakowski zum Material, zum Ausgangspunkt seiner mit Humor und Ironie durchsetzten, zum großen Teil narrativen Filme.

Anders als die Experimentalfilmer im Westen, die mit Unschärfe und Materialzerstörung gegen die Ästhetik des Hollywoodfilms angingen, hat Robakowski die Mittel des kommerziellen Kinos nie abgelehnt. Noch heute arbeitet er mit 35-mm-Film. Um aber unabhängig zu sein, hat er sich meist auf minimalistische Versuchsanordnungen in seiner Wohnung verlegt, bei denen alle Produktionsschritte unter seiner Kontrolle bleiben.

Immer wieder arbeitet er mit überzeichneten Selbstanalysen. Ein beeindruckendes Beispiel ist „About Fingers“ aus dem Jahr 1980, eine Performance, bei der die einzelnen Finger einer Hand, ihre seperaten Biografien erläutern. Die Erfahrungen im totalitären Staat dürften mit dafür verantwortlich sein, dass für ihn die künstlerische Autorenschaft heute noch immer wichtig ist.

Das gilt für Daniel Pflumm, den 32-jährigen Medienkünstler aus Berlin, nicht mehr. Von Pflumm zeigt der Kunstverein drei neue Arbeiten. Auf einem Monitor sind Werbetrailer für fiktive Internet-Firmen zu sehen. Für „seltsam.com“ rotieren zwei Personen mit Klebeband um eine Säule. Das real existierende Internet-Portal fährt zu Sicherheits- und Holzhandelfirmen. Eine macho.com vertreibt „Protective Equipment“: Schuhe, Kappen, Uniformen. So genau weiß man bei Pflumm nie, was Fake und was Fakt ist. Dafür gibt es unten an der Kasse reichlich Merchandising – wenigstens die T-Shirts und Aufkleber sind real.

In der Videoinstallation „Müll“ hüpfen und zappeln indes animierte Firmenlogos und farbige Einsprengsel auf acht horizontal nebeneinander angeordneten Monitoren. Im oberen Stockwerk der Ausstellung wechselt ein jeweils aus vier Bildern bestehendes Videoloop aus Reklamebildern mit Bildern von der Börse und vom Flughafen. Sehr zeitgemäß wirkt das alles.

Ein größerer Unterschied zu Robakowski wäre kaum vorstellbar: Hier der Vertreter der klassischen Avantgarde, dem Autorenschaft noch etwas bedeutet und für den Kunst einen gesellschaftlichen Auftrag hat – Kunst sei „Arbeit an der Mentalität des Menschen“, sagt Robakowski, um schnell noch anzumerken: „Man muss realistisch sein. Ich bin kein Romantiker.“ Dort Daniel Pflumm, der das Sampling der Nineties poppig virtuos ins Virtuelle katapultiert. Pflumm ironisiert die Realität schaffende Scheinwelt und reduziert eine Marke auf ihren abstrakten Zeichencharakter – könnte man sagen. Aber andererseits: Bedrohlich erscheint die bunt-plurale Scheinwelt nicht. Allenfalls die subversive Geste wirkt da noch in den Arbeiten. Pflumm, der BDI-Kunstpreisträger von 1997 bewegt sich an der Deutungsfront. Der Berliner Künstler, der in den Neunzigern den Berliner Club Elektro gründete und später das gleichnamige Musiklabel, kreiert und entleert Zeichen und verknüpft deren Wirklichkeit mit seinen eigenen. In Zeiten Marken generierender „Ich-AGs“ wohl genau das Richtige.

Bis 19.11., Frankfurter Kunstverein

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