„Und, gefällt’s dir?“

Regisseur John Waters über die Vorzüge von Baltimore, stilvollen Trash, Freude an Pornografie und besessene Filmemacher in „Cecil B. Demented“

Interview HARALD FRICKE

taz: Herr Waters, seit 30 Jahren spielen Ihre Filme in Baltimore. Allmählich müssen Sie dort doch jeden Winkel gefilmt haben. Ist das Ihre Version von Homer Simpsons Springfield?

John Waters: Ich hätte „Cecil B. Demented“ überall auf der Welt drehen können. In jeder Stadt gibt es schöne alte Filmtheater als Kulisse. Baltimore ist für mich wichtig, weil ich dort aufgewachsen bin, weil ich mich bestens mit der Stadt auskenne. Dadurch werden die Szenen glaubhafter, man muss nicht ständig irgendwelche künstlichen Orte für die Atmosphärische herstellen – das macht es schon mal sehr viel billiger, in Baltimore zu drehen. Und die Stadt ist so etwas wie eine Filmfigur für mich: das Meer, die Hummer überall. Ich mag das, ohne dass man daraus einen großen Glamour machen muss.

Aber 30 Jahre Baltimore sind doch auch ein filmisches Denkmal für Ihre Stadt?

Ach wissen Sie, Leute wie den redenschwingenden Präsidenten des Filmboards in „Cecil B. Demented“, die gibt es auf Veranstaltungen in Washington, in Chicago, überall. Insofern unterscheidet sich Baltimore nicht von anderen US-Städten. Warum sollte ich dann woanders drehen? Meine Filme dokumentieren Amerika.

Und sie sind sehr autobiografisch: die Künstler, die Freaks, der junge Fotograf in „Pecker“, der den Alltag fotografiert und dann in New York zum Star wird?

Na ja, jeder Film ist ein Stückchen weit, was ich bin. Schließlich habe ich auch das Drehbuch geschrieben und die Regie geführt. Nur ist Pecker, der jugendliche Fotograf, der durch Zufall in die Kunstszene kommt, nicht mit Cecil zu vergleichen, der ja vom Film besessen ist. Pecker ist doch sehr naiv, und mit Cecil möchte ich um Gottes Willen nichts zu tun haben – ein Regisseur, der den ultimativen Film drehen will, oh je! Nein, nein, das möchte ich auf keinen Fall, dass Menschen für ihre Kunst in den Tod gehen (lacht).

Soll man nicht trotzdem Cecil für seine konsequente Kunstauffassung bewundern?

Ach nein, dazu bin ich viel zu banal, diese Art Faschismus interessiert mich nicht. Aber wenn ich den Film mit früher vergleiche, gibt es schon ein paar Parallelen: Wir haben am Anfang auch Klamotten geklaut, um die ersten Filme auszustatten, wir haben auch Graffiti gesprayt. Die Crew, mit der Cecil arbeitet, das sind lauter Charaktere, denen ich irgendwann einmal begegnet bin. Meine Leidenschaft geht ja sowieso eher ins Abseitige: Wann immer irgendein Kid mit einem Satans-Logo-T-Shirt aufkreuzt, will ich es als Statist mit in meinem Film haben, weil ich weiß, das sich am Ende jemand darüber aufregen wird, dass John Waters Teufelsverherrlichung betreibt (lacht). Dabei ist es bloß der Spaß, den dieser Teenager hat und den ich auf meinen Film übertrage – diese süßen kleinen Satanisten, die doch nur zu Hause sitzen und ein bisschen Heavy Metal hören.

Satanisten sind mir in Ihren Filmen bislang gar nicht aufgefallen.

Oder nehmen Sie den Langhaarigen, der die Filmcrew herumchauffiert. Der soll schwul sein? Die Figur habe ich extra gegen die Rolle besetzt, weil mittlerweile ja jeder irgendwie homosexuell sein möchte. Das ist eine Mode geworden – aus politischen Gründen, versteht sich. Dabei sollte man einfach Sex haben, wie man will, und nicht auf die politischen Gründe achten. Wenn mir dann wieder einmal eine Frau von ihrer Bisexualität erzählt, kann ich nur antworten: „Ach, Sie meinen wohl, Sie haben Sex mit Frauen, bevor der Freund drankommt? Das ist nicht bisexuell, das ist dämlich.“ Die Menschen mögen nicht, wenn man Ihnen erklärt, dass sie nicht schwul sind, das macht sie offenbar weniger tolerant. Und genau deshalb wende ich diese Klischees in ihr Gegenteil und besetze Rollen gegen den Strich.

In früheren Filmen haben Sie sich nie um Authentizität bemühen müssen, weil Ihre Schauspieler wie eine Wahlfamilie waren. Jetzt wird die Echtheit zum Fetisch – die Leute tragen Tattoos mit den Namen ihrer Lieblingsregisseure.

Oh ja, Sie haben Recht, früher, da waren wir ein eingeschworener Haufen. Und wissen Sie auch, was passiert ist? Eine ganze Menge sind gestorben. Cookie Mueller, Divine, das waren meine Freunde, die sind inzwischen tot. Wie also weitermachen nach den Achtzigerjahren? Aber es ist ja nicht so, dass sich während der Dreharbeiten, egal zu welchem Film, keine familienähnliche Situation einstellen würde. Man reist gemeinsam, man macht Erfahrungen mit den anderen, jeden Tag. So weit ist die Filmwelt gar nicht vom fahrenden Volk aus dem Zirkus entfernt.

Bei Ihnen sind die jungen Leute auf der Flucht vor ihren Eltern, die sie zurückholen wollen in ein behütetes Leben. Haben Sie sich ähnlich emanzipieren müssen?

Nein, im Gegenteil. Meine Eltern haben mich immer sehr unterstützt. Sie haben mir das Geld für die Filme vorgeschossen, und ich habe es ihnen zurückgezahlt. Meine Mutter hat zwar gesagt: „Wenn du so weitermachst, wirst du irgendwann in einer Irrenanstalt landen und sterben oder anders getötet werden.“ Worauf ich ihr immer entgegnet habe: „Und, gefällt’s dir? Magst du die Vorstellung?“ (lacht) Mittlerweile lachen die beiden über das, was ich mache. Manchmal ärgert sich meine Mutter zwar, wenn wieder irgendetwas Hässliches in einem meiner Filme passiert und sich die Leute dann nach ihr umdrehen und sagen: „Guck mal, das ist die Mutter von dem, der solche perversen Filme macht.“ Andererseits werden meine Eltern von der Presse sehr geliebt, weil sie Ähnlichkeit mit George und Barbara Bush haben. Doch, wirklich! Das hat ihnen erst letztens wieder jemand gesagt, als sie für MTV Interviews gaben. Sie sehen, der Schockwert zahlt sich aus.

Der Schock hat sich auch verschoben: In Filmen mit Divine wie „Pink Flamingoes“ oder „Female Trouble“ ging es um Übertretung und Obsessionen. Die neuen John-Waters-Filme sehen eher wie ein erwachsener Kommentar auf die frühere Underground-Haltung aus.

Es gibt heute eben eine Second Generation, die das filmen muss. Seit ich „Pink Flamingoes“ gedreht habe, wird der Film jedesmal zitiert, wenn sich jemand mit meiner Arbeit beschäftigt. Das ist natürlich ein bisschen frustrierend, wenn man auch nach 30 Jahren wegen dieses einen Films wahrgenommen wird. Gleichzeitig kann ich stolz sein, dass wir den Film damals hinbekommen haben – ohne ausgebildete Schauspieler, ohne Budget, mit geliehenen Apparaten. Es war, als hätten wir eine Gemeinschaft gebildet, die ein Verbrechen gegen den Geschmack begehen wollte. Das war zu dieser Zeit ohnehin sehr populär, wenn man an politische Aktivisten oder an die Yippie-Bewegung denkt. Selbst Straßentheater war ein Ausdruck von gewalttätiger politischer Symbolik: Man wollte den Feind bloßstellen, ihm seine Würde nehmen – auch den Hippies. Ja, das war es, eine Anti-Hippie-Bewegung von Punks, die nur noch nicht wie Punks aussahen, sondern lange Haare hatten. Deshalb wurde „Pink Flamingoes“ so einschlägig bekannt. Das ist vielleicht schlecht für die Rezeption von „Cecil B. Demented“, aber gut für John Waters.

Weshalb?

Vor zehn Jahren hätte ich keinen Film wie „Cecil B. Demented“ drehen können – zumindest nicht mit prominenten Filmstars wie Melanie Griffith oder Stephen Dorff. Ich hätte natürlich weiter so arbeiten können wie früher, aber dann wäre es viel schwieriger geworden, Stars zu bekommen. Richtige Stars. Damals dachten wir zwar auch, wir wären echte Stars, aber das war eine gemeinsame Vorstellung unter Freunden. Das ging so weit, dass Divine und ich zur Premiere vor den Vorhang treten konnten und Vaudeville-Nummern aufführten, in Cowboykostümen oder mit Schrumpfköpfen behängt. Dann wurden Hippies im Publikum beschimpft, dann kam jemand als Polizist verkleidet auf die Bühne . . . das war unsere Art, ohne viel Geld einen Film zu feiern. Heute hat jeder noch so billige B-Film mit lausigen Darstellern ein Budget von mehreren hunderttausend Dollar.

Aber es hat sich doch nicht nur das Geld verändert. Früher sah man bei Ihnen nackte Körper, Geschlechtsteile, jetzt wird selbst in „Cecil B. Demented“ lieber über Pornografie diskutiert als Pornografie gezeigt.

Na gut, die Andeutungen sind geblieben. Aber was glauben Sie, warum will ich denn keine Jugendlichen mehr nackt auf der Leinwand zeigen? Weil man damit niemanden schocken kann. Das ging in „Pretty Flamingoes“, da gab es sogar ein singendes Arschloch. Aber das war Freakshow, dafür haben wir eine gute Kritik bekommen, in der es hieß „beyond pornography“. Und es stimmte sogar. Oder glauben Sie, irgendjemand hätte sich hingesetzt und im Kino masturbiert, während Divine auf der Leinwand Scheiße frisst?! Darum aber geht es bei Pornos.

Mit Pornos kennen Sie sich mittlerweile ziemlich gut aus.

Ja, ich war für die Jury bei der Vergabe der „Porno“-Oscars eingeladen vor ein paar Jahren.

Und?

Wie es in „Cecil B. Demented“ heißt: „Wir sind Freunde der Pornografie.“ Und auch ich bin ein Freund der Pornografie – weil es immer noch das Kino der Outlaws ist, weil es ein völlig eigensinniges System ist, das ohne die Regeln von Mainstream-Hollywood funktioniert, und weil die Regierung es nicht mag.

Also geht es doch irgendwie um ewige Werte, so wie Stephen Dorff als Regisseur in Cecil B. Demented den guten alten Zeiten des großen, echten Kinos nachhängt?

Nein, bei ihm ist die Sache völlig anders. Er weiß, dass er das Ende des Films nicht mehr erleben wird. Der fertige Film existiert nur in seiner Fantasie. Deshalb gibt es in seiner Crew auch niemanden, der den Schnitt besorgt, und keine Post-Production. Er sagt selbst: „Ich bin ein Prophet gegen den Profit.“ Dann würde schon ein einziges verkauftes Ticket seiner Absicht zuwiderlaufen. Das darf nicht passieren, und das passiert auch nicht.