Politische Brisanz im Hintergrund

Serben im Exil: Premiere der „Belgrader Trilogie“ am Altonaer Theater  ■ Von Liv Heidbüchel

Was er alles gelesen hat, ohne gefesselt zu sein, darüber schweigt er sich aus. Meinungen können sich schließlich ändern. Auf der Suche nach einem passenden Stück für seine zweite Inszenierung hat ihn erst die Belgrader Trilogie von Biljana Srbljanovic richtig gepackt. Am liebsten hätte Franz-Joseph Dieken unverzüglich an seinen Debuterfolg mit Oliver Bukowskis Ein-Frau-Stück Nichts Schöneres am Altonaer Theater vor zwei Jahren angeknüpft. Nachdem jedoch vergangene Saison kein Spielplanplatz mehr frei war, kann er dies erst ab heute nachzuholen versuchen.

Fast klingt der Mann, der sonst im Altonaer Theater als Schauspieler agiert, ein wenig enttäuscht darüber, dass ihm die deutsche Uraufführung der Belgrader Trilogie aufgrund äußerer Widrigkeiten durch die Lappen gegangen ist und letztes Jahr in Essen stattfand. Immerhin hatte er die Idee schon vorher, behauptet Dieken. Dafür darf er Srbljanovics Erstlingswerk von 1995 nun als erster auf eine Hamburger Bühne bringen. Wobei dieser Ausdruck nicht ganz adäquat ist, hat er doch die gesamte Aufführung so, wie vor langer Zeit ausgedacht, ins marmorne Treppenhaus verlegt.

Der Anlass dafür ist keineswegs die in der Sommerpause vollzogene und exklusiven Chic verströmende Renovierung des Hauses, sondern einzig thematisch motiviert. So geht es beim in Zweierkonstellation parallel erlebten Sylvesterabend in den Metropolen Prag, Sydney und Los Angeles besonders um eins: das Exildasein. Mehr als das Ausgewandert-Sein scheint die sechs serbischen Männer und Frauen auf den ersten Blick nicht zu verbinden. Behilflich beim Wahrnehmen dieser Kluft sind die Berufsetiketten wie „Kartenabreißer“, „Intellektueller“ und „Künstler“. Obwohl es nur einer von ihnen ausspricht, sind aber alle gänzlich tätigkeitsunabhängig aus dem gleichen Grund geflohen: aus Angst vor Repression und Krieg.

Statt sich wie gewohnt seine Theatersessel gemütlich anzuwärmen, soll auch das Publikum ein Gefühl der Durchreise anwehen. Zu diesem Zweck schickt Dieken es einzig mit einem kleinen Kissen gewappnet mal zum Eingang vor dem Fahrstuhl, mal auf halbe Treppe – je nachdem, wo sich die drei Großstadt-Episoden gerade abspielen. Außerdem ist der Krieg immer präsent.

Jedoch kommt er nicht mit großem Getöse und in konkreter Gestalt daher, sondern manifestiert sich auf subtile Weise in den Beziehungen der Protagonisten untereinander. „Die sind alle von so einem Eigenen getrieben“, beschreibt Dieken diesen Mechanismus, der ein Beenden ausschließt. Er liest die Ausformungen von Krieg in der Belgrader Trilogie nahezu als etwas Traditionelles, das immer weitergegeben wird.

Wenngleich sich der Regisseur von der politischen Brisanz des Dramas nicht explizit distanzieren will, interessiert sie ihn jedoch eher als „Randbespielung“. Etwas, das in Serbien bis heute bei allen von Srbljanovics drei Texten undenkbar ist.

Gerade das jüngste Stück der erst dreißigjährigen Autorin führt zur Zeit in Belgrad selbst die Verqui-ckung von Theater und Wirklichkeit wieder unzweifelhaft vor Augen: Der Sturz zeichnet das Bild vom Untergang eines machtversessenen Ehepaares – eine boshafte Karikatur, die dann bei der Uraufführung zwei Tage nach Milosevics Wahlniederlage auf einen Schlag lebendig wurde.

Für die Illustration des zwischenmenschlichen Kampfes sowie den im Innern der sechs Charaktere kommt Dieken mit vier Schauspielern aus. Ihr erzwungener Rollentausch enthält für den Regisseur die Möglichkeit einer wohl durchaus politischen Botschaft, nämlich dass sich Personen aus mehr als nur einer Charaktereigenschaft zusammensetzen. Und obwohl es sich dabei um eine altbekannte Tatsache handelt, ist einsichtig, dass in kategorischem Gut-Böse-Denken noch nie die ganze Wahrheit verbuddelt lag.

Premiere: heute, 20 Uhr; weitere Vorstellungen: 29.10., 19 Uhr + 31.10., 10 Uhr, Altonaer Theater