„Der Euro ist Dynamit für Europa“

Gestern sank der Euro auf ein neues Rekordtief. Offizielle Begründung: Die G-20-Minister hätten sich bei ihrem Treffen in Montreal nicht zu erneuten Interventionen am Devisenmarkt geäußert. Euro-Kritiker sehen sich in ihren Warnungen bestätigt

Interview KATHARINA KOUFEN

taz: Können wir den Euro wieder loswerden?

Wilhelm Hankel: Ja. Es gibt keinen völkerrechtlichen Vertrag, der nicht kündbar ist. Auch wenn das unter den Euro-Ländern nicht so vereinbart wurde. Im Falle des sinkenden Euro liegt aber bereits ein Vertragsbruch vor: Das Bundesverfassungsgericht hat 1993 die Maastricht-Verträge geprüft und festgestellt, dass die Grundlage dieses Vertrags die Währungsstabilität ist. Hinzugefügt hat es: Wird diese verletzt, hat jedes Mitglied das Recht, wieder auszutreten.

Wären wir mit der D-Mark besser dran?

Mit Sicherheit. Die Anleger hätten in die D-Mark mehr Vertrauen als in den Euro. Das zeigt nicht nur die Vergangenheit: Der Anteil der D-Mark an den weltweiten Finanzumsätzen war größer als der des Euro heute. Das gilt auch für den Anteil an den Reserven der Notenbanken. Vor allem hatten wir unter der Mark nicht diese gefährliche Kapitalflucht, die heute der eigentliche Grund für die Euroschwäche ist. Diese Währung enttäuscht Sparer, Anleger, Investoren. Sie legen außerhalb des Euroraums an. Wir finanzieren die Investionen und Arbeitsplätze in Amerika.

Solange die Ersparnisse in Euroland ausgegeben werden, bleibt deren Wert aber stabil. Und die derzeitigen 2,5 Prozent Inflationsrate – sind die nicht verkraftbar?

Nein. Mit der Inflation ist es derzeit wie mit einer S-Bahn: Sie fährt langsam an und wird dann immer schneller. Das beobachten wir seit drei, vier Monaten. Die Euro-Schwäche führt zur Verschärfung dieses Tempos. Die Importpreise liegen 10 Prozent höher als im Vorjahr. Die teuren Importe verführen die Inlandprodukteure dazu, ihrerseits die Preise zu erhöhen. Und die Gewerkschaften können sich auf Dauer nicht mit Reallohnsenkungen zufrieden geben. Wir stehen am Anfang eines inflatorischen Prozesses. Das einzige, was im Moment den offenen Ausbruch der Inflation verhindert, ist, dass wir starke Preissenkungen wegen der vielen Deregulierungen haben – beim Strom oder beim Telefonieren.

Bis vor kurzem herrschte noch Freude über die Euro-Schwäche, weil sie den Export angekurbelt hat. Ist das jetzt vorbei?

Sich zu freuen war von Anfang an ökonomischer Schwachsinn. Die schwache Währung ist eine Droge, die die Exportindustrie verführt, auf den Abwertungseffekt zu setzen statt auf Kostensenkungen und höhere Produktivität. Außerdem bleiben fast 80 Prozent der deutschen Exporte in der Euro-Zone. Dagegen sind 100 Prozent der Rohstoff- und Mineralölimporte vom teuren Dollar betroffen. Per saldo bedeutet das einen schweren Schaden für die Wirtschaft.

Hinkt die politische Entwicklung in der EU der wirtschaftlichen hinterher?

Ja, das haben wir doch gerade erst wieder bei der Spritpreispolitik gesehen. Das ist der große Unterschied zu den USA: Dort steht der einen Geldpolitik auch ein einziger Finanzminister gegenüber. Dort wird der Konjunktur dadurch geholfen, dass Strukturunterschiede durch Finanzausgleich zwischen den Regionen gemildert werden und dass es einen hochmobilen und flexiblen Arbeitsmarkt gibt. Für all diese Dinge hätte die EU vor dem Sprung in die gemeinsame Währung auch sorgen müssen.

Der Euro sollte der Union politische Dynamik bringen . . .

. . . Dynamik ja, aber er ist zu Dynamit für die Union geworden: Jede Nation sucht im Euro ihren Vorteil und wälzt Risiken auf die Gemeinschaft ab: Die Franzosen wollten die Hegemonie der Deutschen Bundesbank loswerden, die Spanier Subventionen, die Italiener niedrige Zinsen, und so geht es weiter. Ergebnis: Ein schwacher Euro.