„Der Wein ist ein Lebewesen“

Moselwinzer Manfred Prüm vom legendären Weingut J. J. Prüm über junge und alte, große und kleine Weine und ihre Entwicklung

taz: Wie macht man einen großen Mosel-Riesling?

Manfred Prüm: Den kann man nicht machen, den macht, wenn überhaupt, der liebe Gott. Da müssen alle Faktoren stimmen: die Lage, also der Standort, Rebsorte, Weinbergsarbeiten und vor allem das Wetter. In schlechten Jahren können wir uns noch so sehr anstrengen, wir werden nur ein paar nette Kabinettweinchen bekommen. Dann verbietet sich jede Assoziation mit Größe.

Sie haben den Ausbau des Weins im Keller vergessen. Auch dort entscheidet sich vieles. Ist das auch Ihr Credo: Nur faule Kellermeister sind gute Kellermeister?

Nein, faul darf er nicht sein. Aber der Kellermeister sollte auch nicht mit falschem Ehrgeiz am Wein herumfummeln und ihn so vermurksen. Was der Wein braucht, ist gewissenhafte Pflege, also solides Handwerk von der sorgfältigen Lese bis zur Abfüllung. Auch große Weine entstehen nicht von alleine, selbst wenn das Lesegut toll ist.

Dann ist das Gerede vom Wein als eigenständige Persönlichkeit, die im Keller möglichst sich selbst überlassen sein soll, ein Mythos?

Natürlich ist der Wein ein Lebewesen mit Entwicklungsphasen und auch mit Launen. Was meinen Sie, wie gespannt und überrascht ich bin, wenn ich die ersten unfertigen Weine probiere. Wir müssen diesen Jungweinen bei ihrer Entwicklung helfen. Der Keller muss kühl sein, der Wein muss zum richtigen Zeitpunkt von Schmutzstoffen, Trub und Hefe befreit werden.

Das machen andere Winzer auch. Warum ist Ihr Wein so gut?

Vielleicht praktizieren wir eine überdurchschnittliche Sorgfalt. Dazu gehören auch die Größe unserer Lagen und die Geduld mit den Weinen.

Ihre Geduld ist legendär. Sie bringen die Weine sehr spät auf den Markt.

Ich kann es nicht beweisen, aber ich bin fest davon überzeugt, dass es den Weinen gut tut, wenn sie länger im Fass ruhen und sich langsam entwickeln.

Sie trinken sie ja auch erst, wenn sie viele Jahre gereift sind. Ihre Philosophie: Finger weg von jungen Dingern?

Früher hätte ich gesagt, ein Wein muss mindestens fünf Jahre alt sein, bevor ich ihn anrühre. Heute bin ich nachsichtiger. Auch der junge Wein kann Genuss bereiten, wenn man das Ungestüme und die jugendliche Ausdruckskraft liebt. Wenn ich denselben jungen Wilden nach fünf oder zehn Jahren nochmal trinke, dann ist das für mich das schönste Erlebnis. Am besten, Sie kaufen drei Kisten, trinken die ersten zwanzig Flaschen als Jungwein und das letzte Dutzend im gereiften und hohen Alter. Das ist faszinierender Weingenuss.

Wer, außer Ihnen, trinkt heute noch alte Weißweine?

Oho! Sie sollten mal dabei sein, wenn wir mit Gästen eine 76er Auslese aufmachen. Dann glänzen die Augen.

Den meisten Menschen fehlt der Keller und die Geduld, um eine Flasche auch nur fünf Jahre zu lagern.

Ich kenne durchaus eine Menge Sammler, die ihre Weine reifen lassen.

Wegen der späten Vermarktung fehlen Ihre Tropfen bei den Vergleichsproben der Jungweine. Was halten Sie von solchen Wettkämpfen?

Ich bin skeptisch. Vergleichsproben mit Jungweinen sind oft oberflächlich; die Weine werden nicht genug als Lebewesen gewürdigt. Frühentwickler, die sehr schnell ihren Höhepunkt erreichen, werden am höchsten bewertet, Spätentwickler bekommen ein Stigma. Ein, zwei Jahre später sieht das anders aus. Dann sind die Hochgelobten verblüht, und die Spätentwickler zeigen ihr Potenzial.

INTERVIEW: MANFRED KRIENER