Brav die Illusionen zerstochert

■ Statische Ratlose in Lohers „Klaras Verhältnisse“ am Thalia

Man kann doch von einem Zebra nicht verlangen, dass es wie ein Vogel fliegt! Und von unter Schildkrötenpanzern eingeklemmten Menschen nicht, dass sie ihr Ego mit Abstand betrachten. Und weil das so ist, hat Regisseur Mark Zurmühle die ProtagonistInnen von Dea Lohers Klaras Verhältnisse am Thalia Theater in enge Anti-Gestik-Korsetts gesteckt und sie fast allen Ausdruck durch Modulation der Stimme bringen lassen. Schwere Aufgabe für die Leute um Klara, die keine Gebrauchsanleitungen mehr verfassen will und stattdessen Zuwendung von Freunden und Verwandten einfordert.

Auf zwei Seiten der Zeitleiste bewegen sich die acht Figuren, die mal über Judas, mal übers Altern schwadronieren. Wie man Vorher und Nachher zeitgleich auf die Bühne bringt? Natürlich durch die Kunst: Haargenau Howard Kanovitz' 1967 in den USA entstandenem Bild „Ausstellungseröffnung“ mit seinen auf den Malgrund projizierten Fotos gleicht die blau ausgeleuchtete Kulisse, die die Figuren hinter milchigem Vorhang langsam näher zoomt. Und dann: der vertikale Schnitt durch den Gazevorhang, brav den Illusionen zerstochernden Raumkonzepten Lucio Fontanas nachempfunden.

Nun sah man also Klara (Maren Eggert) vor sich, mit manierierten Girlie-Verrenkungen Sinn suchend – mal in der Beziehung zum Opportunisten Tomas, mal im Verkauf ihres Körpers an die Wissenschaft. Klar konnte sie mal 'nen Wutausbrauch kriegen, wenn Schwager Gottfried (Dietmar König) zudringlich wurde, aber allzu ernst war ihr das nicht: Das Jungshowmasterinnen-gleiche Gekicher erstickte jede Tiefe. Die Verzweiflung wirkte nicht authentisch bei der Klara-Figur, die Zurmühle – wenn auch in sich stimmig und exzellent gespielt – gezimmert hatte; vielleicht kann man den anspruchsvollen Kunsttext Lohers eben doch nicht einfach in die stilisierte Gestik der Generation Hip übersetzen.

Oder sollte das ewigwährende Pubertieren einer sinnsuchenden Gesellschaft Zurmühles Ansatz gewesen sein? Das jedenfalls würde auch die schwache Besetzung des wetterwendigen Tomas (Clemens Dönicke) erklären, der immer wieder minutenlang regungs- und ausdruckslos ins Publikum starrte.

Bleibt noch die Frührentnerin (Elisabeth Schwarz), die ihre Monologe als einzige nicht mit Gepardgeschwindigkeit abspulte und der man ihre Verzweiflung tatsächlich abnahm. Dafür, dass sie mit einem Plastikherz, einem peinlich platten Symbol, hantieren musste, konnte sie nichts. Und darauf, dass das unsägliche Teil nach Klaras Tod zu blinken anfing, hätte man ohne Schmerz verzichten können.

Petra Schellen

Weitere Vorstellungen: 27.10., 4.+5.11., 20 Uhr, Thalia Theater